Kerman sieht neuen Dreißigjährigen Krieg in Nahost - "Terrorangriff der Hamas nicht relativieren"
Archivmeldung vom 14.10.2023
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Freigeschaltet durch Mary SmithDer Kölner Schriftsteller und Friedenspreisträger Navid Kermani hat sich angesichts des Terrorangriffs der radikalislamischen Hamas auf Israel für "uneingeschränkte Solidarität" mit den Menschen in Israel ausgesprochen. Angesicht dessen, was sie gerade erlitten hätten, verbietet sich das "Aber", das sonst für vernünftiges Denken konstitutiv sei, sagte Kermani dem "Kölner Stadt-Anzeiger". "Wenn man das Wort nur öffentlich ausspricht, sitzt man schon im Boot der Relativierer und Rechtfertiger", so Kermani. "Das heißt: Der Terror setzt das Denken aus - und genau das wollen die Terroristen erreichen. Sie wollen, dass die Angegriffenen ihre Rationalität, ihre Humanität verlieren. Angreifer und Angegriffene gleichen sich so in einer wechselseitigen Dynamik immer mehr an." Das gelte es zu verhindern. "Man muss sich die Rationalität, die Humanität bewahren. Die Spannung empfindet wohl jeder von uns." Kermani charakterisierte die Lage in Nahost als neuen Dreißigjährigen Krieg. Spätestens seit 2003 breche ein Land nach dem anderen auseinander, werde ein Land nach dem anderen von Gewalt, Vertreibung, Bürgerkrieg und Terror heimgesucht. "Was Israel jetzt widerfährt, ist daher nicht neu. Aber es betrifft uns ungleich stärker, weil Israel uns aufgrund der deutschen Geschichte besonders nahesteht, so Kermani.
Kermani wandte sich gegen Ratschläge an die israelische Führung. "Das Land braucht gerade gewiss keine wohlfeilen Zurufe von der Seitenlinie - weder von mir noch von anderen." Kurzfristig könne man "nichts anderes tun, als mit den Menschen zu sein - auf beiden Seiten. Ich hoffe und bete, dass der Moment für politisches Handeln wiederkehrt und aus all diesem Schrecken - und gerade aus diesem Schrecken - paradoxerweise die Einsicht erwächst, dass Araber und Juden nun einmal zusammen auf diesem Fleckchen Erde leben."
Es gebe im Übrigen in Israel selbst "genügend Stimmen, die auf den Zusammenhang hinweisen zwischen der Politik einer in Teilen rechtsradikalen, rassistischen und offenbar auch korrupten Regierung und der entsetzlichen Situation, in die das israelische Volk jetzt geraten ist. Diese Stimmen sind im öffentlichen Diskurs Israels absolut lebendig. Ich habe den Eindruck, man sollte ihnen fürs Erste nur zuhören und ihnen allenfalls international noch mehr Gehör verschaffen." Für den politischen und intellektuellen Diskurs in Deutschland plädierte Kermani für eine klare Grenzziehung, die er auch als seine Aufgabe bezeichnete: "Klar zu sagen, gerade auch in Richtung der arabischen und muslimischen Communitys: Gewalt gegen Zivilisten verbietet sich. Wer die Gewalt gegen Zivilisten mit klammheimlicher Freude kommentiert, sie gutheißt und damit die Opfer auch noch verhöhnt, der stellt sich gegen unser Gemeinwesen. Der schließt sich selbst aus und muss im Zweifel auch strafrechtlich belangt werden können."
Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger (ots)