Wimmelbuch-Erfinder sieht digitale Spielereien kritisch
Archivmeldung vom 10.08.2015
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 10.08.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Münchner Kinderbuch-Autor Ali Mitgutsch, der mit seinen Wimmelbüchern in Deutschland Millionenauflagen erreicht und Generationen von Kindern geprägt hat, steht digitalen Neuerungen eher skeptisch gegenüber. "Es gab mal das Ansinnen, die eigentlichen Wimmelbücher mit Effekten aufzuwerten - beispielsweise mit einem beiliegenden Stick. Wenn man damit auf das Bild einer Kuh oder eines Schweines getippt hätte, hätte es gemuht oder gegrunzt. Sowas habe ich immer abgelehnt", sagte Mitgutsch der "Welt am Sonntag", "das Buch als solches ist mir eigentlich genug. Ich will nicht, dass meine Bücher quaken oder grunzen."
Mitgutsch, der am 21. August 80 Jahre alt wird, zeichnet nach wie vor. "Ich denke noch nicht ans Aufhören. Ohne das Zeichnen könnte ich nicht leben", sagte er der "Welt am Sonntag", "ich verspüre da keinen Druck. Ich muss ja nicht arbeiten. Ich habe immer mit meiner Wahrnehmung gearbeitet. Und die lässt sich ja nicht einfach abstellen." Die Würdigungen, die sich zu solchen Anlässen einstellten, hätten ihn allerdings schon immer ziemlich kalt gelassen. "Ich kam mir da immer so vor wie ein geschälter Apfel. Ich mag es nicht, wenn ich dann in der Rolle des würdigen Greises bin, alle stehen um mich herum und wünschen mir ein noch längeres Leben. Da gehe ich eher in Deckung", sagte er der "Welt am Sonntag".
Der Bundespräsident habe ihm auch schon geschrieben. "Herr Gauck hat mir etwas Persönliches geschrieben. In den Jahren zuvor, bei Gaucks Vorgängern, waren es wohl eher von Schriftgeneratoren aufgesetzte Briefe. Aber ich bin grundsätzlich kein großer Geburtstagsfeierer und auch kein Jubiläumsmensch."
Dass seine Bücher in den 60er und 70er Jahren aus linken Kreisen kritisiert wurden, weil sie nur "heile Welt" spiegelten, oder von Feministinnen, die monierten, er habe zu wenig Mädchen und Frauen gezeichnet, kann er auch im Rückblick nicht nachvollziehen. "Ich war doch selbst ein Linker - und ganz bestimmt kein Frauenfeind", sagte er der "Welt am Sonntag", "viele dieser wilden jungen Linken hatten damals ein Brett vorm Kopf. Dann siehst du natürlich nix mehr."
Dass er beispielsweise in dem Buch "Hier in den Bergen" ein altes Ehepaar gezeichnet hatte, das wegen eines Staudamm-Baus aus seinem Haus vertrieben wird, hätte einen realen Hintergrund gehabt. "Es gibt Dutzende Geschichten dazu. Diese Art von Alters-Rassismus, dass die alten Menschen verdrängt werden, hat sich zu einem großen Problem in Deutschland ausgewachsen", erzählte er der "Welt am Sonntag".
In Schwabing, wo er lebt, habe es schon in den 70ern angefangen, dass immer mehr Wohnungen luxussaniert und die alten Menschen verdrängt wurden. "Das ist teuflisch. Manche Ältere wurden in den Tod getrieben. Ich erinnere mich noch gut an jene alte Dame, die sich umgebracht hat, weil sie aus ihrer Wohnung raus sollte. Sie aus Verzweiflung aus dem vierten Stock gesprungen. Das war ein Auslöser für die Mieterbewegung hier in der Münchner Maxvorstadt rund um die Universität."
Quelle: dts Nachrichtenagentur