Betrug beim „Spiegel“: Reporter hat eigene Geschichten erfunden
Archivmeldung vom 19.12.2018
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEin Reporter des Magazins „Der Spiegel“ hat laut eigenen Angaben des Mediums „in großem Umfang eigene Geschichten“ erfunden und manipuliert. Mittlerweile habe der beschuldigte Journalist Claas Relotius das Hamburger Medienhaus verlassen und seine „Story-Fälschungen“ zugegeben. Der junge Journalist sei „mehrfach preisgekrönt“. Sputnik hakt nach.
„Alles, was Sie zu diesem Fall wissen müssen, steht im Spiegel-Bericht, der heute (am Mittwoch, Anm. d. Red.) erschienen ist“, erklärte ein Mitarbeiter der Unternehmenskommunikation des in Hamburg beheimateten Magazins „Der Spiegel“ gegenüber Sputnik am Mittwochmittag. „Es werden heute noch drei weitere Artikel dazu erscheinen.“ Mehr Auskünfte zum Fall des „Fake-Reporters“ Claas Relotius seien derzeit nicht möglich.
„Der Fall Relotius markiert einen Tiefpunkt in der 70-jährigen Geschichte des Spiegel“, schrieb das Blatt in seiner Online-Ausgabe in der „Rekonstruktion in eigener Sache“.
Spiegel-Reporter Relotius hat laut dem Beitrag inzwischen zugegeben, Geschichten und Beiträge „komplett erfunden, wenigstens aufgehübscht und mit frisierten Zitaten und sonstiger Tatsachenfantasie“ versehen zu haben.
„Diese Enthüllung, die einer Selbstanzeige gleichkommt, ist für den Spiegel, für seine Redaktion, seine Dokumentationsabteilung, seinen Verlag, sie ist für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Schock.“
Vergangene Woche habe die Vorgesetzte des Reporters diesen direkt zur Rede gestellt. Nach einem Gespräch mit den Chefredakteuren „am Donnerstag“ sei das Kapitel Relotius für das Magazin beendet. Er habe bereits „sein Büro ausgeräumt“ und seinen Arbeitsvertrag gekündigt. Zuvor sei der „bescheidene Claas“ ein überaus eifriger Redakteurskollege gewesen, so das Magazin.
„Als Autor oder Co-Autor hat er im Spiegel 55 Originaltexte veröffentlicht (…). Dreimal schrieb Relotius Texte für Spiegel Online (…). Ein journalistisches Idol seiner Generation.“ Aber er sei kein tatsächlicher Reporter. „Sondern dass er schön gemachte Märchen erzählt, wann immer es ihm gefällt. Wahrheit und Lüge gehen in seinen Texten durcheinander, denn manche Geschichten sind nach seinen eigenen Angaben sauber recherchiert und Fake-frei, andere aber komplett erfunden.“
Der 33 Jahre „junge Redakteur“ sei überaus erfolgreich gewesen und konnte für seine Arbeiten mehrere Journalisten-Preise gewinnen. Darunter der „Peter Scholl-Latour-Preis“ oder auch der „Konrad-Duden-Preis“, eine Auszeichnung für Germanisten. Erst kürzlich gewann er den „Deutschen Reporterpreis 2018“.
Der Beitrag nennt ein aktuelles Beispiel für die „Relotius-Märchen“: Eine erfundene Syrien-Story.
Relotius habe „nach Meinung der Jury des Deutschen Reporterpreises 2018 wieder die beste Reportage des Jahres“ veröffentlicht.
„Über einen syrischen Jungen diesmal, der im Glauben lebt, durch einen Kinderstreich den Bürgerkrieg im Land mit ausgelöst zu haben. (…) Aber in Wahrheit ist, was zu diesem Zeitpunkt noch niemand wissen kann, leider alles offen. Alle Quellen sind trüb. Vieles ist wohl erdacht, erfunden, gelogen. Zitate, Orte, Szenen, vermeintliche Menschen aus Fleisch und Blut. Fake.“
Die Mitarbeiter der Hamburger Redaktion stehen aktuell „unter Schock“, wie der Spiegel-Beitrag offenbart. Ein Kollege meinte, die Affäre fühle sich an „wie ein Trauerfall in der Familie“. Nun suche das Management des Mediums nach Fehlerquellen und Versäumnissen und Lösungsansätzen, um solche Situationen zukünftig vermeiden zu können.
„Dass es Relotius gelingen konnte, jahrelang durch die Maschen der Qualitätssicherung zu schlüpfen, die der Spiegel in Jahrzehnten geknüpft hat, tut besonders weh, und es stellt Fragen an die interne Organisation, die unverzüglich anzugehen sind.“
Bereits heute werde jeder Text, der im Spiegel gedruckt wird, „parallel durch die Dokumentation bearbeitet, die alle Tatsachenbehauptungen auf ihre Korrektheit hin überprüft.“
So übe die Spiegel-Redaktion derzeit massive Selbstkritik – und fährt gleichzeitig eine Charme-Offensive.
„Der Spiegel bittet jeden und jede, der oder die mit falschen Zitaten, erfundenen Details ihres Lebens, in erdachten Szenen, an fiktiven Orten oder sonst in falschen Zusammenhängen in Artikeln von Claas Relotius im Spiegel aufgetaucht sein mögen, um Entschuldigung. Das Haus entschuldigt sich auch bei seinen Leserinnen und Lesern, bei allen geschätzten Kolleginnen und Kollegen in der Branche, bei den Preiskomitees und —jurys, den Journalistenschulen, bei der Familie Rudolf Augsteins, bei Geschäftspartnern und Kunden.“
Das Hamburger Magazin werde nun eine „Kommission berufen, der auch Externe angehören werden, um die Vorgänge aufzuklären und um Wiederholungsfälle zu vermeiden.“ Einfache Abhilfe sei deshalb leicht zu fordern, „aber nicht leicht zu haben“.
Egal, wie das Endergebnis der Kommission aussehen wird. Mit Sicherheit schaut die deutsche Medienlandschaft aktuell und in den nächsten Wochen ganz genau auf das Hamburger Blatt, wie es denn nun die Fake-News-Affäre managen, handhaben und lösen wird.
Quelle: Sputnik (Deutschland)