Journalisten werden fahrende Hotspots
Archivmeldung vom 06.03.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt"Video wird die Zeitungen gewaltig interessieren und wir dürfen es auf keinen Fall dem Fernsehen überlassen. Jene Zeitungen, die bei diesem Thema schlafen, werden das in einigen Jahren bitter bereuen", sagte Christan Ortner, Chefredakteur der "Vorarlberger Nachrichten" beim European Newspaper Congress, der heute in Wien zu Ende geht.
Mehr als 500 Chefredakteure und
Führungskräfte aus Verlagen diskutieren bei diesem größten
europäischen Zeitungskongress die Zukunft ihrer Medienhäuser.
Beim traditionellen European Editors Forum, das den heutigen
Kongresstag eröffnete, diskutierten führende Chefredakteure unter der
Leitung von "Presse"-Chefredakteur Michael Fleischhacker über
"Leserreporter, Blogs, YouTube & Co". "Vorarlberger
Nachrichten"-Chefredakteur Ortner stellte dabei ein neues Projekt
seiner Zeitung vor. Reporter und Fotografen werden als "fahrende
Hotspots" ausgestattet. Zusätzlich zu Kamera und Laptop bekommen die
Mitarbeiter Videogeräte, mit denen sie Beiträge für das
Online-Angebot der Zeitung filmen. Vor Ort werden die Clips
geschnitten und sofort ins Internet gestellt. Derzeit befindet man
sich noch in der Testphase. Bis Ende des Jahres will man zehn solcher
"Hotspots" haben. Je nach Nachrichtenlage sollen von diesen
durchschnittlich zehn Beiträge produziert werden. "Das neue Angebot
wird vor allem das lokale Fernsehen angreifen und die Zeitung in
ihrer Kompetenz dramatisch aufwerten. Warum soll man sich am Abend
noch die Nachrichten ansehen, wenn man bis dahin bereits vier, fünf
Mal den jeweiligen Beitrag im Online-Angebot der Zeitung gesehen
hat", sagte Ortner.
Nicolaus Fest, bei "Bild" in Hamburg für das Projekt Leserreporter
verantwortlich, relativierte die Rolle der Amateurjournalisten, die
jetzt auch bei Deutschlands größter Tageszeitung mitarbeiten und
dafür Honorare zwischen 100 und 500 Euro erhalten. Allerdings: "Für
Nachrichtenjournalismus gibt es keine Alternative zum Leserreporter.
Ohne die Hilfe der Leser wird man in Zukunft nicht mehr auskommen",
sagte Fest. Täglich erreichen die Redaktion 1.000 Bilder. Sechs
Fotojournalisten und weitere sechs Journalisten sind damit
beschäftigt, das Material zu sichten und bei Bedarf gegen zu
recherchieren.
"Leserreporter sind kein Instrument um Geld zu sparen, sondern um
die Qualität der Zeitung zu erhöhen", sagte Stefan Herbst,
Chefredakteur der "Saarbrücker Zeitung" beim Editors Forum in Wien.
In Saarbrücken beteiligen sich die Leser vor allem mit Informationen
über Brände und schwere Unfälle. "Die Hinweise auf Ereignisse kommen
früher als von der Polizei", sagte Herbst.
Norbert Neiniger, Verleger und Chefredakteur der "Schaffhauser
Nachrichten" hilft entgegen, dass seine Zeitung die Leser bereits
seit mehr als 140 Jahren einbindet und man mit den neuen
Leserreportern oft genug "Bullshit" fördert. Der Schweizer Verleger
konzentriert sich übrigens als einer der wenigen Verlage im Internet
weniger auf Inhalte als auf die Umsetzung von Konzepten für
Unternehmen und beschäftigt damit knapp 100 Mitarbeiter. "Wenn
Goldgräberstimmung herrscht, muss man Schaufeln verkaufen und nicht
selber nach Gold suchen", sagte Neininger.
Zum Abschluss des heutigen Kongresstages werden Europas beste Zeitungsmacher ausgezeichnet.
Quelle: Pressemitteilung Medienfachverlag Oberauer GmbH