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Krieg hinter der Leinwand: Droht den Kinos "Die letzte Vorstellung"?

Archivmeldung vom 28.02.2007

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 28.02.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Grafik: Prof. Dr. Thorsten Hennig-Thurau
Grafik: Prof. Dr. Thorsten Hennig-Thurau

Der Streit um kürzere Filmverwertungsfenster eskaliert. Ein internationales Forschungsteam, darunter Wirtschaftswissenschaftler der Bauhaus-Universität Weimar, zeigt nun, dass sowohl Filmstudios als auch deutsche Kinos von kürzeren Fenstern stark profitieren könnten - US-Kinos dagegen müssen um ihre Existenz fürchten.

Manch ein Kinogänger in Berlin, Rom und London wird sich gewundert haben: Ben Stillers Hit-Komödie NACHTS IM MUSEUM war über Nacht aus den europäischen Kinos verschwunden - trotz eines Spitzenplatzes in den Kinocharts und immenser Nachfrage. Das Produktionsstudio 20th Century Fox hatte angekündigt, die DVD des Films bereits nach rund drei Monaten zu veröffentlichen, anstatt die üblichen sechs Monate abwarten zu wollen. Nach einer Woche des für beide Seiten kostspieligen Boykotts gab Fox zumindest in Deutschland klein bei und stimmte der Rückkehr zum alten Sechs-Monats-Fenster zu; der Film ist wieder in den Kinos zu sehen.

Diese Aktion ist Teil eines Konflikts, der gegenwärtig weltweit zwischen Kino und Filmstudios tobt und zu eskalieren droht - und der vom Publikum bisher kaum wahrgenommen wird. Der Hintergrund: Die traditionelle Abfolge der Filmverwertungkanäle steht unter Beschuss durch die Filmstudios. So malte Barry Meyer, Vorstand von Warner Bros. Entertainment, das Szenario eines "simultanen Debüts großer Filme im Kino und auf DVD" aus und orakelte, dass zukünftige Premieren "im Wal-Mart stattfinden" würden. Für Kinobetreiber ist das ein wahrhaftiger Alptraum; die amerikanische Vereinigung der Kinobetreibern spricht von einer "Todesdrohung an die Kinos" und verteufelt jede Änderung des Status Quo.

Nun könnte die erste wissenschaftliche Studie zu diesem Thema, durchgeführt von renommierten Forschern der Bauhaus-Universität Weimar, der Cass Business School in London, der Universität Hamburg und der University of Missouri-Columbia (USA), weiteres Öl ins Feuer gießen. In ihrem Artikel THE LAST PICTURE SHOW? TIMING AND ORDER OF MOVIE DISTRIBUTION CHANNELS*, der im Oktober im JOURNAL OF MARKETING, der weltweit führenden Zeitschrift der Marketingwissenschaft, erscheint, zeigen die Autoren die Gewinner und Verlierer der von den Studios angestrebten Veränderungen auf.

Professor Thorsten Hennig-Thurau, Professor für Marketing und Medien an der Bauhaus-Universität in Weimar und der Cass Business School in London und seine Ko-Autoren Victor Henning (Doktorand an der Bauhaus-Universität), Henrik Sattler (Professor für Marketing an der Universität Hamburg), Felix Eggers (Doktorand an der Universität Hamburg) und Mark Houston (Professor für Marketing an der University of Missouri, USA) belegen, dass Filmstudios von einer Neuordnung der Filmverwertung in der Tat erheblich profitieren würden. Die Forscher haben 1.770 Personen in Deutschland, den USA und Japan zu deren Filmpräferenzen befragt und die Antworten mit einer innovativen experimentellen Methode ausgewertet.

Ihre Ergebnisse legen nahe, dass
- Studios in Deutschland und in Japan ihre Einnahmen um 14% bzw. 12% steigern können, wenn neue Spielfilme als Kauf-DVD bereits drei Monate nach dem Kinostart veröffentlicht würden und erst nach einem Jahr als Leih-DVD und als Video-on-Demand-Angebot (VOD) erhältlich sein würden. Neben den Filmproduzenten würden auch die Kinobetreiber (Umsatzanstieg von 14%) und vor allem die Einzelhändler (Umsatzanstieg bei DVD-Verkäufen von knapp 30%) profitieren, während die Videotheken die großen Verlierer einer solchen Neuordnung wären (Umsatzeinbußen von rund einem Drittel der gegenwärtigen Umsätze).
- in den USA eine zeitgleiche Veröffentlichung von neuen Filmen im Kino, in Videotheken und als Video-on-Demand-Angebot, gefolgt von einer Veröffentlichung als Kauf-DVD nach drei Monaten die Einnahmen der Studios maximieren würde. Ein solches Szenario würden weitgehend das Ende der gegenwärtigen "sequentiellen Distribution" über verschiedene Verwertungsfenster bedeuten - Filmstudios würden den Berechnungen der Forscher zufolge ihre Einnahmen um mehr als 16% steigern können und der DVD-Verkaufsumsatz würde sich nahezu verdoppeln, während die Kinoeinnahmen um mehr als 40% absinken würden.

Die Wissenschaftler sind sich der Brisanz ihrer Ergebnisse insbesondere im Hinblick auf den US-amerikanischen Kinomarkt bewusst: "Viele Kinos müssten ihr Angebot wohl massiv einschränken oder ganz schließen", sagt Professor Hennig-Thurau. "Und jene, die überleben, würden wahrscheinlich anders aussehen als heute - sie müssten den Konsumenten Gründe geben, warum es besser ist, einen neuen Film im Kino anzusehen als zu Hause."

"Wir geben keine Empfehlungen, sondern betrachten, was passieren würde, wenn Dinge anders gemacht würden als heute. Dabei nehmen wir die Perspektive der Filmstudios ein, da diese das Herstellungsrisiko tragen", ergänzt der Weimarer Ökonom, der auch das Moviesuccess-Forschungscenter leitet. Er weist aber auch darauf hin, dass die Berechnungen die möglicherweise mit einer Veränderung der Distributionskette verbundenen Kosten nicht berücksichtigen würden: "Schäden, die durch Boykotte und Imageverluste verursacht werden, lassen sich nicht seriös antizipieren - aber sie müssen natürlich berücksichtigt werden, wenn konkrete Änderungen angedacht werden".

Die Forscher suchten daher auch nach sog. "Win-Win"-Konstellationen, die keinem der vier Distributionskanäle schaden. In Deutschland würde ein Vorziehen des DVD-Verkaufsfensters auf 3 Monate bei einem geringfügig höherem Verkaufspreis, einem gleichzeitigen Beibehalten des 6-Monatsfensters für Videotheken und einem 12-Monatsfenster für VOD demnach die Studioumsätze um knapp 8% steigern, die Kino-, Videotheken- und VOD-Umsätze unangetastet lassen und die Umsätze der Einzelhändler durch Verkauf-DVDs um knapp 20% steigern. In den USA sieht es ähnlich aus; nur sollte hier die VOD-Veröffentlichung bereits nach 6 Monaten erfolgen. Die Studios gewännen 7% hinzu, die Kinoumsätze blieben auf dem heutigen Stand. In Japan fanden die Autoren keine Kompromisslösung.

Unabhängig davon, welche Konsequenzen die Filmindustrie aus den Ergebnissen der Wissenschaftler ziehen wird: Es scheint, als wäre im Konflikt um die Vertriebsfenster von Spielfilmen das letzte Wort noch nicht gesprochen. Das Ergebnis der Auseinandersetzungen können sich Filmzuschauer demnächst selbst ansehen: in den Media-Märkten, Videotheken - und vielleicht auch noch in ihrem Kino.

Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.

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