Philosophin Susan Neiman: "Ich bin Jüdin. Das ist kein Schimpfwort"
Archivmeldung vom 17.11.2021
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićViele Deutsche haben Schwierigkeiten, "das Wort 'Jude' in den Mund zu nehmen", sagt die jüdische Philosophin und Autorin Susan Neiman im Magazin ZEIT GESCHICHTE. Das zeige, "wie kompliziert die Beziehungen zwischen Deutschen und Juden sind". Neiman sagt über sich selbst: "Ich bin Jüdin - das ist kein Schimpfwort." Manch einer habe "Angst", "uns mit diesem Wort zu beleidigen."
Dann käme es zu "Verrenkungen wie 'Mitbürger jüdischen Glaubens' oder 'Deutsche jüdischer Abstammung'". Der gebürtigen US-Amerikanerin fehlt bei den Deutschen "so ein wenig der Witz" bei der Sache.
"Sobald es um Juden geht, reden wir fast nur noch über Antisemitismus", merkt die Philosophin an. Es gebe in der aktuellen Debatte in Deutschland eine "fast krankhafte Fixierung auf die jüdische Opferrolle". Sie findet es "irre und widerlich", wenn zum Beispiel auf "Querdenker"-Demos gelbe Sterne mit der Aufschrift "Ungeimpft" eingesetzt werden. Das Problem sei, so argumentiert Neiman, die "Identifikation des Begriffs 'Jude' mit dem Begriff 'Opfer'". Sie sieht zwar einen historischen Fortschritt darin, dass sich in Deutschland seit den 1980er Jahren ein Bewusstsein über die eigene Täterrolle in der Geschichte herausgebildet habe, auch im Vergleich mit den "Heldenepen anderer Nationen" - aber die deutsche Diskussion über die Vergangenheit kreise zu sehr "um die eigene Schuldreinigung" statt um real existierende Juden.
Zudem sei ein schlichter Dualismus von Opfer und Täter zum Beispiel in aktuellen Debatten über Israel und den Nahen Osten problematisch. So empfindet Neiman das "deutsche Bekenntnis zur Solidarität mit Israel" als "zu bedingungslos". Das Land, in dem sie selbst fünf Jahre gelebt hat, kritisiert sie als "Apartheid-Regime". Es gehe ihr und vielen anderen Juden "gegen den Strich", wenn "aus einer philosemitischen Haltung heraus alles verteidigt wird, was die israelische Regierung entscheidet." Auch hierzulande solle offener über die israelische Politik diskutiert werden - das sei "keineswegs antisemitisch."
Quelle: DIE ZEIT (ots)