Opfer genießen besonderen Schutz: Drei Rügen wegen Verstößen gegen Persönlichkeitsrechte
Archivmeldung vom 16.03.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Deutsche Presserat tagte am 13., 14. und 15.03.2012 in Berlin und sprach insgesamt neun Rügen aus.
Identifizierende Darstellungen von Opfern Eine nicht-öffentliche Rüge erhielt die B.Z. für die Berichterstattung über einen schweren Autounfall. Sie hatte mit der Unfallschilderung auch ein Foto eines 32-jährigen Opfers gezeigt. Dieses Foto hatte die Redaktion ohne Einwilligung der Angehörigen aus einem sozialen Netzwerk kopiert und veröffentlicht. Über Unfallopfer muss im Hinblick auf den Schmerz der Hinterbliebenen besonders zurückhaltend berichtet werden. Ein überwiegendes öffentliches Interesse an der identifizierenden Berichterstattung erkannte der Beschwerdeausschuss nicht. Es liegt ein Verstoß gegen Ziffer 8 und die Richtlinie 8.1, Satz 2 vor.
Ziffer 8 - Persönlichkeitsrechte
Die Presse achtet das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen. Berührt jedoch das private Verhalten öffentliche Interessen, so kann es im Einzelfall in der Presse erörtert werden. Dabei ist zu prüfen, ob durch eine Veröffentlichung Persönlichkeitsrechte Unbeteiligter verletzt werden. Die Presse achtet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und gewährleistet den redaktionellen Datenschutz.
Richtlinie 8.1 (2) Opfer von Unglücksfällen oder von Straftaten haben Anspruch auf besonderen Schutz ihres Namens. Für das Verständnis des Unfallgeschehens bzw. des Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Ausnahmen können bei Personen der Zeitgeschichte oder bei besonderen Begleitumständen gerechtfertigt sein.
Nicht-öffentliche Rügen erhielten BILD online und die DRESDNER MORGENPOST für ihre Berichterstattungen unter den Überschriften "Die bizarre Welt des Jonathan H." bzw. "Toter im Fluss identifiziert: War es ein Manga-Mord?". Die Artikel beschäftigten sich mit dem Mord an einem 23-jährigen Mann, dessen zerstückelte Leiche aus einem Fluss gezogen worden war. Das Leben des Getöteten wurde detailliert beschrieben. Dabei wurden auch Spekulationen von Nachbarn über seine Intimsphäre veröffentlicht. Illustriert waren die Artikel zudem mit mehreren, privaten Fotos, die den Mann in Kostümen der Manga-Szene zeigten.
Der Presserat sah in den Beiträgen eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts nach Ziffer 8 (siehe oben) des Pressekodex. Im konkreten Fall erkannte der Presserat kein öffentliches Interesse, das das Persönlichkeitsrecht des Opfers überlagert hätte.
Die DRESDNER MORGENPOST erhielt zudem eine öffentliche Rüge. Grund war ebenfalls ein Verstoß gegen Ziffer 8 und speziell die Richtlinie 8.5.
Richtlinie 8.5 - Selbsttötung
Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen und die Schilderung näherer Begleitumstände. Eine Ausnahme ist beispielsweise dann zu rechtfertigen, wenn es sich um einen Vorfall der Zeitgeschichte von öffentlichem Interesse handelt.
Auf der Titelseite und im Innenteil hatte die Zeitung unter der Überschrift "Junge (17) warf sich vor Zug - tot" über den Suizid eines Teenagers berichtet. Die Selbsttötung wurde ausführlich geschildert und es wurde über das Motiv spekuliert. Auch die Verletzungen des Jungen wurden detailliert beschrieben. Der Presserat sah durch diese Darstellungen die in Richtlinie 8.5 gebotenen Zurückhaltung bei der Berichterstattung über Selbsttötung verletzt.
Datenschutz
Die LÜNEPOST wurde vom Beschwerdeausschuss Redaktionsdatenschutz bereits zum zweiten Mal für die Veröffentlichung eines Fotos gerügt, das eine Szene aus dem Straßenleben der Stadt zeigt. Darauf ist eine Menschengruppe zu sehen. Das Gesicht einer der dort abgebildeten Personen wird von der Zeitung durch einen farbigen so genannten "Glückskreis" hervorgehoben. Der Person wird ein Einkaufsgutschein von 25 Euro versprochen, wenn sie sich innerhalb von vier Wochen bei der Zeitung meldet. Mit dieser Praxis verstößt die Lünepost gegen das in Ziffer 8 des Pressekodex verbriefte Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Der Beschwerdeausschuss hält es für ethisch nicht vertretbar, dass die betreffenden Personen ohne ihr Wissen in der Zeitung veröffentlicht werden. Durch die Einkreisung werden die Personen derart individualisiert, dass die Bilder nicht mehr den Charakter einer Übersichtsszene haben. Durch die Bildunterschrift wird außerdem der Aufenthaltsort der Person bekannt gegeben. Dies sind Angaben zum Privatleben der Abgebildeten. Ohne deren Einverständnis verletzen diese Angaben die Persönlichkeitsrechte und den redaktionellen Datenschutz. Ein überwiegendes öffentliches Interesse ist daran nicht ersichtlich.
Illegaler Download
Das PC Magazin erhielt eine öffentliche Rüge für einen Beitrag unter der Überschrift "Quellen der Raubkopierer". Angekündigt wurde der Artikel auf der Titelseite mit der Schlagzeile "Hier saugen Profi-Piraten" und dem Hinweis "So haben Polizei und Abmahner keine Chance". Der Artikel beschäftigte sich - unter Nennung von konkreten Websites - mit verschiedenen Möglichkeiten zum illegalen Download von Musik, Filmen und Software aus dem Internet. In der Berichterstattung und einer beigestellten Tabelle bewertete die Redaktion u. a. das Risiko für den User bei Nutzung des jeweiligen Download-Dienstes.
Der Presserat sah in der Veröffentlichung eine Verletzung des Ansehens der Presse. Es ist nicht mit der Ziffer 1 Pressekodex vereinbar, wenn eine Redaktion illegale Downloadmöglichkeiten beschreibt, durch deren Nutzung Urheberrechte verletzt werden. Die Zeitschrift war bereits 2006 in zwei Fällen für ähnlich gelagerte Veröffentlichungen gerügt worden. Ziffer 1 - Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse. Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien.
Diskriminierung
Das DEUTSCHE WAFFENJOURNAL erhält eine öffentliche Rüge für einen Kommentar in der Online-Ausgabe der Zeitschrift. Der Kommentar setzt sich u. a. mit den Motiven eines Vaters nicht deutscher Herkunft auseinander, der seine Tochter erschossen hat. In diesem Zusammenhang zitiert die Zeitschrift die aus Sicht des Presserats zynische und menschenverachtende Äußerung eines Dritten: "Wahrscheinlich eine kultursensible Erziehungsmaßnahme einer noch nicht ganz so gut integrierten Fachkraft, mit der wir halt leben müssen." Die Redaktion nimmt keine kritische Distanz zu diesem Zitat ein. Sie muss es sich daher zurechnen lassen. Der Ausschuss hält die Äußerung für einen gravierenden Verstoß gegen die Ziffer 12 des Pressekodex.
Ziffer 12 - Diskriminierungen
Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.
Trennungsgrundsatz
Die BUNTE erhält eine öffentliche Rüge für diverse Berichte in verschiedenen Ausgaben, die alle gegen die Trennung von Werbung und Redaktion nach Ziffer 7 in Verbindung mit Richtlinie 7.2 (Schleichwerbung) des Pressekodex verstoßen. In allen Beiträgen wurden Produkte hervorgehoben, im Bild gezeigt und teilweise mit Preisangaben genannt. Dies geht über ein begründetes öffentliches Interesse hinaus, stellte der Ausschuss fest. Bei einem Beitrag über Trends auf Society-Partys wurde zum Beispiel eine Sektmarke besonders hervorgehoben. Der Ausschuss sah auch hier die Grenze zur Schleichwerbung überschritten. Ziffer 7 - Trennung von Werbung und Redaktion Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden. Verleger und Redakteure wehren derartige Versuche ab und achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken. Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.
Ebenfalls gerügt wegen einer Verletzung des Trennungsgrundsatzes wurde der WESER-KURIER. Die Zeitung hatte unter dem Titel 'Am Bürgerpark entsteht etwas Neues' über den Bau von Eigentumswohnungen in Bremen berichtet. Das Projekt wurde ausführlich und positiv beschrieben. Die Geschäftsführer der Baugesellschaft kamen lobend zu Wort. Am Ende des Textes erfolgte ein Hinweis auf den Vertriebspartner des Bauträgers mit einer Telefonnummer und einer Website.
Der Presserat sah hier die Grenze zur Schleichwerbung nach Richtlinie 7.2 Pressekodex überschritten. Ein öffentliches Interesse an einer Berichterstattung in dieser detailliert-positiven Form in Verbindung mit der Nennung des Vertriebspartners war nicht erkennbar. Mit dem Beitrag wurden die kommerziellen Interessen des Anbieters gefördert.
Richtlinie 7.2 - Schleichwerbung
Redaktionelle Veröffentlichungen, die auf Unternehmen, ihre Erzeugnisse, Leistungen oder Veranstaltungen hinweisen, dürfen nicht die Grenze zur Schleichwerbung überschreiten. Eine Überschreitung liegt insbesondere nahe, wenn die Veröffentlichung über ein begründetes öffentliches Interesse oder das Informationsinteresse der Leser hinausgeht oder von dritter Seite bezahlt bzw. durch geldwerte Vorteile belohnt wird. Die Glaubwürdigkeit der Presse als Informationsquelle gebietet besondere Sorgfalt beim Umgang mit PR-Material.
Statistik
Insgesamt wurden in den drei Beschwerdeausschüssen 106 Beschwerden behandelt. Neben den sechs öffentlichen und drei nicht-öffentlichen Rügen gab es 15 Missbilligungen und 27 Hinweise. In 49 Fällen wurden die Beschwerden als unbegründet erachtet. In sechs Fällen wurde die Beschwerde als begründet angesehen, auf eine Maßnahme wurde jedoch verzichtet.
Quelle: Deutscher Presserat (ots)