Die tiefenpsychologische Analyse von 'Du bist Deutschland'
Archivmeldung vom 02.02.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSie ist in aller Munde: Die kombinierte TV- und Printkampagne 'Du bist Deutschland' der deutschen Medien- und Werbeindustrie, die von Bertelsmann und 24 weiteren Medienunternehmen initiiert wurde. Sie sorgt derzeit für Aufsehen. Neben Zustimmung erntet die groß angelegte Initiative allerdings auch Kritik. Kaum eine andere Kampagne der letzten Jahre konnte eine solch große Resonanz für sich verzeichnen.
Grund genug herauszufinden, was sie
wirklich bewirkt - und wie sie dies tut. In einer Eigenstudie hat das
Kölner rheingold Institut für qualitative Markt- und Medienanalysen
50 Männer und Frauen durch Diplom-Psychologen zur Kampagne befragt.
Nach Auswertung und Analyse der tiefenpsychologischen Interviews
zeigen sich für die Kölner Markt- und Medienpsychologen folgende
Ergebnisse:
Nachdenklichkeit wird provoziert
Aufmerksamkeit erzielt die Kampagne, weil sie sich auf sehr
ungewöhnliche Weise an das Publikum richtet. Die TV-Bilder
erscheinen den Rezipienten rätselhaft, der Text wirkt mal 'lyrisch',
mal 'banal' und provoziert Nachdenklichkeit bis Widerspruch. Die
Print-Version lebt von der Kombination von prototypischen deutschen
'Ikonen' mit meist sehr ungewöhnlichen Motiven. Doch dabei bleibt es
nicht: Die Kampagne rührt auch an. Insbesondere der TV-Part erinnert
die Rezipienten daran, dass es in 'unserem Deutschland' ein diffuses
'Mehr' an Qualitäten und Werten gibt, auf das man stolz sein kann
bzw. sollte.
Bei vielen geht es noch einen Schritt weiter. Die Betrachter
spüren, dass der Appell 'Du bist Deutschland' sich direkt und
umweglos an jeden wendet, er rüttelt auf. Man fühlt sich zwingend
aufgefordert, die eigene Einstellung zu 'seinem' Land zu beschreiben
und zu erklären - ob zustimmend oder ablehnend oder irgendwo
dazwischen. Die Kampagne lebt weder von einer simplen Botschaft noch
von eindeutigen Bildern oder Gebrauchsanweisungen. Sie lebt von einer
Provokation, der sich niemand entziehen kann: einer ganz persönlichen
Haltung zum Komplex 'Deutschland'.
Gelungene Befruchtung? Die Kampagne spricht das Individuum an und
überlässt es einer Art 'Gärungs-Prozess', die Gedanken auf das
Kollektiv und die gemeinsamen Möglichkeiten zu lenken. Dies ist
keinesfalls ein Umweg, sondern ein schlichter, aber wirksamer Kniff:
Wenn man selbst darauf kommt, anstatt (plump) darauf gestoßen zu
werden, ist der Effekt viel intensiver. So kann man die vielen
kritischen und hämischen Kommentare zu 'Du bist Deutschland' also
auch lesen: als Rückmeldung für eine gelungene 'Befruchtung' mit
einem sich selbst weiterpflanzenden Grundthema.
Ende offen:
Es ist zukünftigen (Weiter-)Entwicklungen der Kampagne
und ihrer Nach-Wirkungen überlassen, ob sich der ganze Aufwand lohnen
wird. Und überhaupt: längst ist ja nicht klar, was als 'lohnend' zu
definieren wäre. Reicht der einmalige Anstoß? Soll eine neue Debatte
über nationale Qualitäten und Werte entfacht werden? Dies sollte
sicherlich nicht nur emotional angefacht, sondern auch mit Argumenten
und Visionen verbunden werden! Soll daraus gar eine 'Bewegung'
werden, die aktiv Dinge verändern kann?
Quelle: Pressemitteilung rheingold Institut für qualitative Markt- und Medienanalysen