Gerichts-PR: Imageschaden oft schlimmer als Urteil
Archivmeldung vom 27.07.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittJuristisch im Recht bleiben und gleichzeitig das Gesicht wahren ist in Zeiten von Web 2.0 eine immer schwierigere Aufgabe. Die "Litigation-PR" stellt sich als eigenständige Disziplin der Herausforderung, juristische Auseinandersetzungen gezielt zu kommunizieren. Im September behandelt eine Fachtagung an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation (MHMK) diesen neuen Trend, der an der Schnittstelle zwischen Journalismus, PR und Recht agiert.
"Was im Gerichtssaal passiert, ist oft
ganz anders als die öffentliche Diskussion darüber", erklärt Perry
Reisewitz, Geschäftsführer von Compass Communications
und einer der Veranstalter, im pressetext-Interview. Ein prominentes
Beispiel dafür ist Klaus Zumwinkel. Als man dem ehemaligen Chef der
Deutschen Post Steuerhinterziehung vorwarf, waren vorinformierte Medien
schon bei der Verhaftung vor Ort. "So entstand eine öffentliche
Vorverurteilung lange vor dem Richterspruch. Der Sympathieverlust wäre
selbst durch eine richterliche Erklärung der Unschuld nicht wieder gut
zu machen", so der Professor für PR und Kommunikationsmanagement an der
MHMK.
Internet ist Risiko für das Image
Damit das nicht passiert, wird Litigation-PR immer wichtiger. "Die Staatsanwaltschaften nehmen Kommunikation deutlich ernster als noch vor zehn Jahren. Was früher ein Richter oder Staatsanwalt nebenbei den Medien mitteilte, ist heute Aufgabe eines Pressesprechers", erklärt Reisewitz. In den USA hat sich die Disziplin bereits sehr professionalisiert. In Europa steckt sie noch in Kinderschuhen, rückt aber deutlich nach. Diesen Trend führt der PR-Profi auch auf das Web 2.0 zurück. "Juristische Auseinandersetzungen gelangen heute viel mehr in der Öffentlichkeit als zuvor, da das Internet eine Projektfläche dafür bietet."
Selbst mittelständische Betriebe sind von Risiken des Internets
nicht ausgenommen, wie der Fall des Fahrradschloss-Herstellers
Kryptonite zeigt. Als jemand in einem Bikerforum erklärte, wie er das
als "unaufbrechbar" beworbene Schloss knackte, machte die Meldung
schnell die Runde und brachte dem Unternehmen binnen zwei Wochen
Umsatzschaden von zehn Mio. Euro. "Millionenschaden löste auch 2008 ein
Blogger auf dem Portal iReport mit der Nachricht aus, Steve Jobs sei im
Krankenhaus. Die Leitmedien übernahmen das sofort als Gerücht und der
Apple-Kurs verlor mehrere Prozent", so Reisewitz.
Unspektakuläre Einigung als Ziel
Doch auch die Globalisierung, der internationale Wettbewerb und die steigende Bedeutung von Marken haben der juristischen PR Auftrieb verliehen. "Ein Unternehmen kann juristisch durchaus im Recht sein, doch mit hartem Vorgehen seine Reputation aufs Spiel setzen. So beging etwa der Bekleidungskonzern Jack Wolfskin den Fehler, Hobby-Näherinnen eine Abmahnung dafür zu schicken, dass sie Produkte in geringer Auflage mit Tatzen-Muster vertrieben. Der Fall ging nach hinten los und bescherte Jack Wolfskin hohen Imageschaden", berichtet der Experte.
Was gute Litigation-PR hier leisten kann, ist eine unspektakuläre Einigung, bevor ein Fall publik wird. "Strittige Themen erfordern gemeinsames Reden. Juristen stecken die Gesetzeslage ab und versuchen das eigene Recht durchzusetzen. Die PR untersucht hingegen, wie die relevante Öffentlichkeit den Fall beurteilt und wie diese beeinflusst werden kann. Ziel ist es, der eigenen Position in der öffentlichen Diskussion Gehör zu verschaffen." Aus diesen Gründen ist für Reisewitz PR auch bei juristischen Auseinandersetzungen legitim.
Quelle: pressetext.deutschland Johannes Pernsteiner