Jürgen Becker: “180 PS ist einfach Quatsch”
Archivmeldung vom 01.10.2014
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer passionierte Motorradfahrer und Kabarettist Jürgen Becker hat die Übermotorisierung von Zweiradfahrzeugen heftig aufs Korn genommen. „Ich finde: 200 PS müssen nicht sein, 180 auch nicht. Das ist einfach Quatsch. Ich glaube auch nicht, dass dieser Kick unbedingt nötig ist“, sagte Becker in einem Gespräch mit dem ACE Auto Club Europa. Er fügte hinzu: „Bevor Motorräder ganz verboten werden, sollte man ...
ACE-Online: Sie gelten als einer der bekanntesten Kabarettisten in Deutschland, fahren Motorrad und treten bei einer Motorradsicherheitskonferenz auf. Ist Verkehrssicherheit ein Thema für das Kabarett?
Jürgen Becker: Grundsätzlich kann Kabarett jedes Thema behandeln. Man tritt ja oft in Krankenhäusern auf. Viele Unfallklinken machen auch Kabarettabende, weil es den Leuten gut tut, wenn sie lachen. Selbst, wenn sie im Bett liegen, ist Humor nie schädlich, sondern immer gesundheitsfördernd.
ACE-Online: In den 70er-Jahren gab es sie Kampagne: “Hallo Partner – Danke schön”, heute wird die “Vision Zero” in Angriff genommen. Wie hat sich nach Ihrer Einschätzung das Klima im Straßenverkehr verändert?
Jürgen Becker: Das Motorrad würde heute, also, wenn es jetzt erfunden würde, nicht mehr in den Handel kommen, weil es den Sicherheitsstandards nicht entspricht. Dasselbe gilt allerdings auch für die Haushaltsleiter, die auch beim falschen Gebrauch umkippen kann und die meisten Unfälle passieren schließlich im Haushalt.
Unser Sicherheitsempfinden ist extrem – überall sind Airbags, überall sind Vorschriften, auf jedem Spiegel steht, dass Objekte kleiner angezeigt werden als sie sind. Man darf einfach nicht mehr sterben. Der Tod ist etwas, was auf keinen Fall passieren darf – er ist der größte anzunehmende Ernstfall. Das war früher anders. Da wurde einfach gestorben. Der Tod wurde früher anders dargestellt, in einigen Kulturen wurde er als etwas Erotisches dargestellt. Heute ist der Tod das Schlimmste, was passieren kann. Das Motorrad passt in dieses Denken natürlich nicht hinein, weil man die dafür erforderliche Sicherheit gar nicht herstellen kann.
ACE-Online: Wirkt sich das auch auf der Straße im Miteinander der Verkehrsteilnehmer aus?
Jürgen Becker: Der Verkehr ist ja auf jeden Fall dichter und hektischer geworden. In Zukunft könnte sich das wieder ändern, weil die Jugend ja das Auto verschmäht – und auch das Motorrad. Insofern könnte es auf den Straßen ja auch wieder leerer werden. Ich sehe da einen Vorteil des Internet, weil dadurch der Jugend der Führerschein nicht mehr so wichtig ist. Das Motorradfahren passt auch nicht zur Frisurmode, die gegelten Haare werden durch den Helm platt gedrückt. Weniger Verkehr aber wird dazu führen, dass die Unfälle zurückgehen.
ACE-Online: Im Frühjahr hatten Sie selbst einen Unfall mit dem Motorrad und wurden dabei schwer verletzt. Welche Konsequenzen haben Sie daraus gezogen?
Jürgen Becker: Ich achte darauf, dass ich hellwach bin, wenn ich aufsteige. Ich hatte viele Kilometer zurückzulegen, es war eine weite Fahrt und ich hatte wahrscheinlich zu schlecht geschlafen und war kurz unaufmerksam. Die Strecke war an sich gar nicht gefährlich, ich war einfach nicht fit genug.
ACE-Online: Sie gelten als Freund klassischer Motorräder. Was halten Sie von Fahrerassistenzsystemen wie ABS oder Traction Control für Motorräder?
Jürgen Becker: Ich glaube, es gibt das Motorrad als Fortbewegungsmittel, und das möchte man so sicher machen wie möglich. Das verstehe ich und zum Beispiel ABS ist ja auch auf jeden Fall sinnvoll. Zum anderen gibt es, wie beim Auto auch, Sammler von Oldtimern und Youngtimern, die einfach Freude an alter Technik haben . Das muss man einfach voneinander trennen.
Die Entwicklung geht weiter und es ist gut, wenn Motorräder sicher sind. Wenn ein Airbag auf dem Motorrad Sinn macht, soll man den auch einbauen. Das gleiche gilt für Airbags in der Bekleidung. Ich habe allerdings den Eindruck, dass die Fahrer alter Motorräder auch nicht so viele Kilometer zurücklegen. Die Sicherheit steht deshalb in diesem Fall vermutlich nicht im Vordergrund. Die fahren bis zum nächsten Treffen, aber nicht bis Saudi-Arabien wie einst Laurence von Arabien auf seiner Brough Superior.
ACE-Online: Wie könnte es Ihrer Meinung nach gelingen, den Gedanken der Verkehrssicherheit bei Motorradfahrern noch mehr zu verankern?
Jürgen Becker: Ich glaube, dass es schwer ist. Rein technisch sehe ich da Problemstellungen, zum Beispiel: Wann weiß der Airbag, dass ein Unfall ein Unfall ist? Das ist technisch alles nicht so einfach wie beim Auto. Das Motorrad ist das erfolgreichste Verkehrsmittel der Welt. Es gibt weltweit weit mehr motorisierte Zweiräder als Autos. Für wichtig halte ich die Einsicht, dass die Freude am Motorradfahrern nicht zwangsläufig durch die Geschwindigkeit generiert wird, sondern eher über den Genuss. Wenn ich auf einem Motorrad sitze, dass 140 PS oder mehr hat, merke ich, dass mich das nicht entspannt. Das macht mich eher nervös, das muss nicht sein. Wenn man die Technik so baut, dass nicht das Schnellfahren im Vordergrund steht sondern das Entspannte – so wie es eben bei Oldtimern der Fall ist – da reichen 30 PS vollkommen aus und machen auch Spaß. Selbst ein Motorrad mit 12 PS kann als sehr schnell empfunden werden.
Früher gab es einmal die Grenze von 100 PS, mehr musste nicht sein. Eigentlich war das auch gar nicht so schlecht, sage ich jetzt mal. Ich finde: 200 PS müssen nicht sein, 180 auch nicht. Das ist einfach Quatsch. Ich glaube auch nicht, dass dieser Kick unbedingt nötig ist. Ich kann mir vorstellen, dass die Politik irgendwann umschwenkt und sagt: Null Verkehrstote geht mit Motorrädern gar nicht. Bevor Motorräder ganz verboten werden, sollte man seitens der Industrie lieber die Leistung reduzieren. Das würde es vielleicht leichter machen, zurückhaltender zu fahren. Es ist doch einfach widersinnig, 180 PS zu haben und mit Tempo 40 durch die Gegend zu bummeln. Dafür sind solche Motorräder einfach nicht gemacht.
Außerdem sollte man auf leise Maschinen setzen. Elektromotorräder werden an dem Punkt eine große Zukunft haben, da wären zumindest die Anwohner in ländlichen Gebieten sehr froh drüber.
Quelle: ACE