Wie reagiert ein kritisches Verbrauchermagazin, wenn es selbst kritisiert wird?
Archivmeldung vom 30.10.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas Frankfurter Verbrauchermagazin Ökotest ist gewohnt, deftige Kritik auszuteilen. Wie aber reagiert das Magazin, wenn es selbst kritisiert wird? Die Hamburger Zeitschrift Securvital machte die Erfahrung, dass Ökotest in einem solchen Fall extrem dünnhäutig ist und gleich zum schweren juristischen Geschütz von Verbotsanträgen greift.
Gegendarstellung, Unterlassungsklage, einstweilige Verfügung - Ökotest zog alle Register und ging bis vor den Bundesgerichtshof, um kritische Passagen eines Securvital-Artikels über Ökotest aus dem Verkehr zu ziehen. "Ein massiver Versuch, unliebsame Kritik zu unterdrücken", urteilt Norbert Schnorbach, Redaktionsleiter der Securvital ("Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen").
Jetzt ist Ökotest vor dem Bundesgerichtshof (BGH) endgültig gescheitert. Nachdem schon das Gegendarstellungsbegehren von Ökotest beim Hamburger Landgericht erfolglos blieb und das Frankfurter Oberlandesgericht einen Verbotsantrag von Ökotest zurückwies, erteilte nun auch der BGH dem Verbrauchermagazin eine Abfuhr (Az. VI-ZR-50/08). Ökotest hat nun die gesamten Kosten des aufwändigen langjährigen Rechtstreits zu tragen.
Hintergrund ist ein Medikamententest, den auch schon der Deutsche Presserat wegen Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht öffentlich gerügt hat. Ökotest hatte 2006 in einem Sonderheft für Kleinkinder mehrere Neurodermitis-Cremes (u.a. Elidel von Novartis) mit "gut" und "sehr gut" empfohlen, obwohl sie unter Krebsverdacht stehen und teilweise für Kleinkinder gar nicht zugelassen sind. Anschließend weigerte sich Ökotest-Geschäftsführer Jürgen Stellpflug trotz Fehlereingeständnis, eine Korrektur zu veröffentlichen.
Die Securvital kritisierte diesen bedenklichen Test ebenfalls (4-2006: "Nebenwirkungen: Wie Ökotest und Novartis mit der Öffentlichkeit umgehen") und schrieb: "Noch fragwürdiger ist, was sich auf der Ökotest-Website abspielt: Dort sind immer noch Selbstrechtfertigungen zu finden, obwohl Ökotest-Geschäftsführer Jürgen Stellpflug mittlerweile Fehler zugegeben hat. Dort wird das Heft ungeachtet des Verstoßes gegen die journalistische Sorgfaltspflicht immer noch verkauft. Und dort findet man direkt neben dem betreffenden Neurodermitis-Bericht ausgerechnet einen bezahlten Anzeigenlink für eine Internetseite von Novartis mit heiklem Inhalt: Der Pharma-Hersteller, so erfährt man, sucht über diese Internetseite kranke Kinder für klinische Studien zur Anwendung der (unter Krebsverdacht stehenden) Creme Elidel. Zufall? Absicht?"
Dass dies für Ökotest peinlich ist, ist nachvollziehbar. Aber ein Anlass für ein Veröffentlichungsverbot? Die Richter, die den Verbotsantrag ablehnten, belehrten den Ökotest-Chef Stellpflug in der mündlichen Verhandlung über die Bedeutung der Pressefreiheit: Ein Magazin, das Kritik austeilt, müsse auch Kritik akzeptieren können. "Darüber muss sich der Leser sein eigenes Bild machen", schrieben die Richter ins Urteil.
Quelle: Securvital