Rundfunk- und Telemedien-Prüffälle der KJM im zweiten Quartal 2012
Archivmeldung vom 23.07.2012
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 23.07.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) hat im zweiten Quartal 2012 insgesamt 16 Verstöße gegen die Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) festgestellt. Sechs davon kommen aus dem Rundfunk-, zehn aus dem Telemedienbereich. Bei der Aufsicht über den Rundfunk arbeitet die KJM Hand in Hand mit den Landesmedienanstalten: Sie beobachten, prüfen und bewerten potenziell problematische Rundfunkangebote und leiten - bei Feststellen eines Anfangsverdachts auf einen Verstoß gegen den JMStV - der KJM die entsprechenden Prüffälle zur Entscheidung zu.
Im Internetbereich unterstützen jugendschutz.net und die Landesmedienanstalten die KJM bei ihren Aufgaben: So treten jugendschutz.net oder auch die Landesmedienanstalten bei der Annahme von Verstößen vorab an die Anbieter heran und fordern, entsprechende Inhalte freiwillig herauszunehmen. Auf diese Weise können viele Internet-Fälle ohne aufwändiges Verfahren geklärt werden. Erst bei Nichtabhilfe oder in besonders schweren Fällen schreitet die KJM ein. Sowohl im Rundfunk- als auch im Telemedienbereich kann die KJM nur gegen Anbieter mit Sitz in Deutschland vorgehen. Indizierungen fallen in das Aufgabengebiet der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM). Die KJM ist in dem Zusammenhang einerseits für die Abgabe von Stellungnahmen zu Indizierungsanträgen im Bereich der Telemedien zuständig und kann andererseits selbst Indizierungsanträge stellen.
Rundfunk
In einem Fall stellte die KJM einen Verstoß gegen die Menschenwürde fest:
Es handelte sich dabei um eine Folge der Doku-Soap "Die Super-Nanny", die um 20.15 Uhr auf RTL lief. Im Mittelpunkt der Sendung standen Gewalt- und Leidensszenen, die den brutalen Umgang einer allein erziehenden Mutter gegenüber ihren drei kleinen Kindern (sieben, vier und drei Jahre alt) thematisierten. Der Zuschauer bekam eine Vielzahl von physischen und psychischen Gewalthandlungen zu sehen, die sowohl im Teaser zur Sendung als auch während der Sendung wiederholt wurden. Die Auffassung der KJM: Eine so reißerische Darstellung zielt primär auf den Voyeurismus der Zuschauer. Die Kinder werden in für sie leidvollen Situationen für kommerzielle Zwecke instrumentalisiert, zu Objekten der Zurschaustellung herabgewürdigt und in ihrem sozialen Achtungsanspruch verletzt. Damit liegt ein Menschenwürdeverstoß vor.
Entwicklungsbeeinträchtigung für unter 16-Jährige (Sendezeitgrenze 22 bis 6 Uhr) stellte die KJM in folgendem Fall fest:
Bei der Folge "Enthüllung" aus der Serie "V - Die Besucher", die Pro Sieben ab 20.15 Uhr im Hauptabendprogramm ausstrahlte. In der Episode der US-amerikanischen Sciece-Fiction-Serie foltern die Helden der Serie eine Außerirdische, um an Informationen zu kommen. Eine Beeinträchtigung in der Altersgruppe bis 16 Jahren ist aufgrund der Drastik der Darstellungen und der realitätsnahen Inszenierung nicht auszuschließen. Da die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) die Sendung vorab geprüft und die rechtlichen Grenzen ihres Beurteilungsspielraums nicht überschritten hatte, darf die KJM keine Maßnahmen ergreifen.
Entwicklungsbeeinträchtigung für unter 12-Jährige (Sendezeitgrenze 20 bis 6 Uhr) stellte die KJM in folgenden Fällen fest:
Der Sender RTL 2 zeigte im Tagesprogramm den Spielfilm "Jim Carroll - In den Straßen von New York". Der Film basiert auf einer wahren Begebenheit. Der Protagonist selbst erzählt darin, wie er mit 13 Jahren in die Drogensucht abrutscht, aus der er sich erst mit 17 Jahren befreien kann. Es handelte sich bei der ausgestrahlten Fassung um eine um zehn Minuten gekürzte Version eines von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) ab 12 Jahren freigegebenen Films, die die KJM auf ihre Wirkung auf unter 12-Jährige überprüfte. Sie kam dabei zu der Überzeugung, dass auch der geschnittene Film Kinder mit einer Vielzahl von sehr realistisch dargestellten, drastischen Szenen von Leid und Gewalt (Beschaffungskriminalität, Prostitution) konfrontiert, ohne dass ihnen eine Einordnung ermöglicht wird. Hintergrundmusik und Dramaturgie verstärken die Ausweglosigkeit und bedrückende Stimmung dieser Szenen. Die gezeigte Version von "Jim Carroll" ist deshalb unter dem Aspekt der Überforderung und der übermäßigen Ängstigung geeignet, die Entwicklung von Kindern unter 12 Jahren zu beeinträchtigen.
Bei einer Folge von "Die strengsten Eltern der Welt", ausgestrahlt auf Kabel 1 um 20.15 Uhr, wiederholt um 11.05 Uhr, prüfte die KJM in Bezug auf die Wiederholung im Tagesprogramm, ob eine Entwicklungsbeeinträchtigung vorliegt. Laut Sendekonzept der erfolgreichen Reality-Doku werden schwer erziehbare, oft bereits kriminell gewordene Jugendliche aus Deutschland zu Gastfamilien in exotische Länder geschickt, um durch das ungewohnte Leben in der fremden Kultur zu einem Verhaltenswandel zu kommen. In dieser Folge geht es um die Cannabis-abhängigen Teenager Antonia und Max in Peru. Vor allem das Mädchen wird in teils extremen Situationen (Steine werfend, in die Kamera schreiend) vorgeführt, was teils von polemischen Off-Kommentaren ("nun bekommt sie die Quittung") begleitet wird. Auch körperliche Übergriffe des Gastvaters auf Antonia werden gezeigt. Die KJM problematisiert an dem Format generell, sowie an dieser Folge im Speziellen, dass dem Zuschauer der Eindruck vermittelt wird, eine Verhaltensänderung bei Jugendlichen könne durch Strenge - hier besonders des Gastvaters - und das im Rahmen einer inszenierten Fernsehsendung erreicht werden. Besonders negativ war das in dem Fall angesichts Antonias Drogenproblem zu werten: sie bräuchte eigentlich therapeutische Hilfe, keine Strafe. Besonders Kinder bis 12 Jahre kann die Botschaft der Sendung ("wenn du nicht brav bist, kommst du zu den strengsten Eltern der Welt"") nachhaltig ängstigen und verunsichern, entschied daher die KJM.
Auch einen Beitrag der Sendung "Newstime" (Pro Sieben, 18 Uhr), wertete die KJM entwicklungsbeeinträchtigend für unter 12-Jährige. Er berichtet über einen 13-jährigen Jungen, der sich wegen Diebstahls im südamerikanischen Paraguay in Polizeigewahrsam befindet. Dabei enthält der Beitrag schockierende Gewaltszenen, die die Misshandlung des Jungen durch die Polizei zeigen. Die Bilder laufen wiederholt und werden durch die Kommentierung noch dramatisiert. Auch aufgrund der Möglichkeit der Identifikation mit dem Opfer kann dieser Beitrag Zuschauer unter 12 Jahren übermäßig ängstigen und psychisch überfordern. Da die FSF die Sendung geprüft und die rechtlichen Grenzen ihres Beurteilungsspielraums nicht überschritten hatte, darf die KJM keine Maßnahmen ergreifen.
Verstoß aufgrund falscher Platzierung eines Trailers:
Der Sender Pro Sieben zeigte vor 23 Uhr einen Trailer für den Actionfilm "The Punisher", der am selben Tag um 23.10 Uhr ausgestrahlt wurde und mit der FSK-Freigabe "nicht unter 18 Jahren" gekennzeichnet ist. Damit stellte seine Ausstrahlung einen Verstoß gegen die Jugendschutz-Bestimmungen dar: Trailer mit Bewegtbildern für Sendungen, die aus Jugendschutzgründen erst ab 23 Uhr ausgestrahlt werden dürfen, unterliegen derselben Sendezeitbeschränkung wie die angekündigte Sendung selbst.
Telemedien
Die Jugendschutzrelevanz von Internet-Inhalten ist in der Regel ungleich höher als die von Fernseh-Sendungen. Weil Angebote im Netz außerdem nicht nur zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern meist über einen längeren Zeitraum online sind, berichtet die KJM über die Verstöße in Telemedien anonymisiert:
Drei Angebote sind nach dem JMStV absolut unzulässig. Zwei sind jugendgefährdend und kommen aus dem rechtsextremen Bereich, bei einem Angebot aus der Mediathek eines Senders handelt es sich um einen Menschenwürdeverstoß.
Sechs Verstöße beziehen sich auf Angebote, die einfache Pornografie beinhalten. In Telemedien darf einfache Pornografie nur ausnahmsweise innerhalb geschlossener Benutzergruppen zugänglich gemacht werden. Ist das nicht der Fall, liegt ein Verstoß gegen den JMStV vor.
Ein Angebot stellt aufgrund entwicklungsbeeinträchtigender Inhalte einen Verstoß gegen die Bestimmungen des JMStV dar. Es zeigte zum Zeitpunkt der Beobachtung erotische Bilder und explizite Schilderungen sexueller Vorgänge - auch bizarrer Sexualpraktiken - unterhalb der Pornografieschwelle.
In sieben Fällen wurde das Verfahren eingestellt, da die jugendschutzrelevanten Inhalte nach der Anhörung des Anbieters entfernt worden und auch die weiteren Voraussetzungen für eine Einstellung (kein absolut unzulässiges Angebot, kein Wiederholungstäter) gegeben waren.
Die KJM beschloss - je nach Art und Schwere der Verstöße - Beanstandungen, Untersagungen und/oder Bußgelder. Die entsprechenden Verwaltungs- und Ordnungswidrigkeitenverfahren führen die jeweils zuständigen Landesmedienanstalten durch. Strafrechtlich relevante Inhalte gibt die KJM an die zuständigen Staatsanwaltschaften ab.
In 55 Fällen beantragte die KJM im zweiten Quartal 2012 die Indizierung eines Telemedienangebots bei der BPjM. Die Anträge bezogen sich zum Großteil auf Internetangebote mit pornografischen Darstellungen. In weiteren 48 Fällen gab die KJM eine Stellungnahme zu Indizierungsanträgen anderer antragsberechtigter Stellen bei der BPjM ab, die von der BPjM bei ihrer Entscheidung maßgeblich zu berücksichtigen sind.
Damit befasste sich die KJM seit ihrer Gründung im April 2003 mit rund 4.880 Fällen - mit fast 1000 im Rundfunk und 3880 in den Telemedien.
Quelle: Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) (ots)