Presse darf nicht an den Pranger stellen Presserat spricht sieben Rügen aus
Archivmeldung vom 15.03.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIn ihrer ersten Sitzung des Jahres hat die Beschwerdekammer 2 des Presserats am 14. März 2006 in Bonn insgesamt 18 Beschwerden für begründet erklärt und dabei neben sieben öffentlichen Rügen fünf Missbilligungen und sechs Hinweise ausgesprochen. 21 Beschwerden wurden als unbegründet zurückgewiesen.
Prangerwirkung vermeiden
Die B.Z. (Berlin) wurde öffentlich gerügt, da sie unter der
Überschrift "Du Drecks-Vater!" über einen Mann berichtet hatte, der
seine zwei kleinen Söhne verwahrlosen ließ. Nach Meinung der Kammer
wird der Mann mit einer solchen Überschrift an den Pranger gestellt.
Die ehrverletzende und menschenverachtende Äußerung "Drecks-Vater"
ist dabei eine der Presse nicht angemessene Formulierung, mit der die
Zeitung die Grenze der zulässigen Berichterstattung verlässt und als
Ankläger auftritt. Sie schadet mit einer solchen Überschrift dem
Ansehen der Presse insgesamt. Die Kammer sah hier einen Verstoß gegen
die Ziffer 6 des Kodex:
Jede in der Presse tätige Person wahrt das Ansehen und die
Glaubwürdigkeit der Medien sowie das Berufsgeheimnis, [...]
BILD-Titelzeile zu Osthoff zulässig
Gegenstand der Beratung in der Kammer war auch die Schlagzeile "Wird
sie geköpft?" über die entführte Susanne Osthoff in BILD vom 30.
November 2005, die zu einer Vielzahl von Beschwerden beim Presserat
geführt hatte. Das Gremium war der Meinung, dass die Fragestellung
auch in dieser Form presseethisch vertretbar ist, da Susanne Osthoff
aufgrund der zurückliegenden Ermordungen mehrerer Entführter im Irak
zum Zeitpunkt der Veröffentlichung eindeutig in Lebensgefahr
schwebte. In diesem Zusammenhang konnte auch die Frage, ob sie
"geköpft" wird gestellt werden, da auf diese grausame Art und Weise
bereits mehrere Entführte hingerichtet worden waren. Die Mitglieder
äußerten Verständnis für die von Emotionen geprägten Beschwerden beim
Presserat, gleichzeitig weist die Kammer jedoch darauf hin, dass die
Zeitung hier eine reale Gefahr in Worten abgebildet hat. Auch
grausame Realitäten zu schildern und darüber zu berichten, gehört zu
den Aufgaben der Presse.
Bildveröffentlichungen
Wegen eines Artikels über einen siebenjährigen Jungen, der seinen
fünfjährigen Bruder mit einem Sportgewehr erschossen hatte, wurde die
ABENDZEITUNG (München) gerügt. Die Zeitung hatte der Veröffentlichung
zwei Fotos der Kinder beigestellt. Diese waren zwar mit einem Balken
versehen, trotzdem waren die Kinder aber erkennbar und die Gefühle
der Angehörigen wurden somit verletzt. Hier hat die Zeitung die
Richtlinie 11.3 des Pressekodex missachtet.
Richtlinie 11.3 - Unglücksfälle und Katastrophen
Die Berichterstattung über Unglücksfälle und Katastrophen findet
ihre Grenze im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von
Angehörigen. Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch
die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden.
Ebenfalls wegen einer Bildveröffentlichung gerügt wurde BILD
(Hannover). Die Zeitung hatte zu einem Artikel über die Pisa-Studie
ein aus dem Jahr 2002 stammendes Foto einer Grundschulklasse
veröffentlicht. Das Bild war damals zu einem anderen Zweck
aufgenommen und jetzt ohne Rücksprache mit der Schule als Symbolfoto
erneut publiziert worden. Diese Praxis verstößt gegen die Richtlinie
2.2 des Pressekodex und stellt zudem eine Verletzung des
Persönlichkeitsrechtes der abgebildeten Kinder dar (Ziffer 8).
Richtlinie 2.2 - Symbolfoto
Kann eine Illustration, insbesondere eine Fotografie, beim
flüchtigen Lesen als dokumentarische Abbildung aufgefasst werden,
obwohl es sich um ein Symbolfoto handelt, so ist eine entsprechende
Klarstellung geboten. [...]
Die ABENDZEITUNG (Nürnberg) wurde gerügt wegen der
Veröffentlichung eines Fotos eines Angeklagten in einem Mordprozess.
Durch dieses Bild sowie den Vornamen und den abgekürzten Nachnamen
war der Mann eindeutig identifizierbar, so dass sein
Persönlichkeitsrecht nach Ziffer 8 des Kodex verletzt wurde.
Ziffer 8
lautet:
Die Presse achtet das Privatleben und die Intimsphäre des
Menschen. Berührt jedoch das private Verhalten öffentliche
Interessen, so kann es im Einzelfall in der Presse erörtert werden.
Dabei ist zu prüfen, ob durch eine Veröffentlichung
Persönlichkeitsrechte Unbeteiligter verletzt werden. [...]
Trennungsgebot
Wegen eines Verstoßes gegen das Gebot der klaren Trennung von
Redaktion und Werbung erhielt die OSTSEE-ZEITUNG eine Rüge. Sie hatte
über das Angebot eines Fertighausbauers berichtet, das interessierten
Kunden ermöglichen soll, für 45 Euro eine Nacht in einem Musterhaus
zu verbringen. In dem Artikel wurden die Unternehmensleistungen
ausführlich dargestellt sowie eine Telefonnummer veröffentlicht,
unter der mehr Informationen zu erhalten waren. Diese Darstellung
ging nach Meinung der Beschwerdekammer deutlich über ein öffentliches
Interesse hinaus und stellt Schleichwerbung nach Richtlinie 7.2 des
Kodex dar.
Richtlinie 7.2 - Schleichwerbung
Redaktionelle Veröffentlichungen, die auf Unternehmen, ihre
Erzeugnisse, Leistungen oder Veranstaltungen hinweisen, dürfen nicht
die Grenze zur Schleichwerbung überschreiten. Eine Überschreitung
liegt insbesondere nahe, wenn die Veröffentlichung über ein
begründetes öffentliches Interesse oder das Informationsinteresse der
Leser hinausgeht.[...]
Ebenfalls verletzt wurde das Trennungsgebot von der SCHWARZWÄLDER
POST, die sich in einer redaktionellen Veröffentlichung mit einem
Unternehmen beschäftigte, das eine Solaranlage in Betrieb genommen
hatte. In die Veröffentlichung war eine Anzeige dieser Firma
eingebettet. Diese Kombination von Anzeige und redaktionell
aufgemachtem Beitrag ist nach Auffassung der Kammer eine reine
PR-Veröffentlichung und verstößt damit gegen die Ziffer 7 des
Pressekodex. Auch dieser Zeitung sprach der Presserat eine Rüge aus.
Vorverurteilung
BILD (Rhein-Neckar) wurde gerügt wegen mehrerer Artikel über einen
Mann, der in der Türkei in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe
verurteilt worden war. Er hatte Jahre zuvor in der Türkei an einer
Demonstration teilgenommen, die mit einem Brandanschlag endete, bei
dem 37 Menschen starben. BILD bezeichnete den Mann in der
Berichterstattung als "Attentäter". Dies ist nach den Erkenntnissen
der Kammer falsch und zudem vorverurteilend, da er seinerzeit nicht
wegen eines Tötungsdeliktes angeklagt war, sondern ausschließlich
wegen seiner Teilnahme an der Demonstration. Für eine Auslieferung
fehlten den deutschen Behörden zudem konkrete Belege für seine
Tatbeteiligung. Die Berichterstattung verstieß damit gegen die
Ziffern 2 und 13.
Quelle: Pressemitteilung Deutscher Presserat