Studie: Deutsche Medien berichten viel und eher positiv über Migration
Archivmeldung vom 16.01.2020
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittKnapp fünf Jahre nach dem Beginn der „Flüchtlingskrise“ spaltet der Streit über den Umgang mit Migranten und Flüchtlingen nach wie vor die Europäische Union. Dabei wird häufig auch die Rolle der Medien kritisiert. Eine neue Studie zeigt nun, dass in Deutschland nicht nur besonders viel, sondern auch eher positiv über das Thema berichtet wird. Das schreibt das russische online Magazin "Sputnik".
Weiter ist auf der deutschen Webseite zu lesen: "Die Studie „Stumme Migranten, laute Politik, gespaltene Medien“ von der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung beginnt mit einem Zitat des bekannten österreichischen Journalisten Armin Wolf:
„Die wichtigste Aufgabe von Medien besteht […] darin, die gesellschaftliche Wirklichkeit zu beschreiben und eine gemeinsame Faktenbasis bereitzustellen – für den öffentlichen Diskurs darüber, wie wir diese Wirklichkeit gemeinsam gestalten wollen“
Die Studienautoren Prof. Dr. Susanne Fengler und Marcus Kreutler vom renommierten Erich-Brost-Institut für internationalen Journalismus der TU Dortmund wollten von den Probanden ihrer Studie wissen, ob die Medien ihres Landes beim Thema „Flüchtlingskrise“ die gesellschaftliche Wirklichkeit adäquat wiedergeben und ihren Informationspflichten nachkommen. Bei den Antworten ergaben sich signifikante Unterschiede in Russland, Deutschland oder den USA.
„Deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westeuropa“
Die Autoren vergleichen in ihrer Studie – unterstützt von einem internationalen Forschungskonsortium – erstmals die Berichterstattung in 16 europäischen Ländern und den USA zu den Themen Flucht und Migration. Das zentrale Ergebnis der Untersuchung, die Berichte zwischen August 2015 und März 2018 auswertete: Die eine Migrationsberichterstattung gibt es nicht, stattdessen prägen markante inhaltliche Unterschiede die Medienlandschaft Europas.
„Aufgrund unserer Ergebnisse können wir von einer doppelten Differenzierung sprechen“, so Studienautorin Susanne Fengler. Die Studie zeige einerseits, dass deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westeuropa bestehen, wobei im Osten insgesamt kritischer über Einwanderung berichtet werde. So heißt es in der Studie:
„…ist die Medienberichterstattung über Migration und Flucht in Westeuropa in der Tat erkennbar von positiveren Akzenten geprägt als die Berichterstattung in Osteuropa.“
Migration häufiger Thema in linken Medien
Andererseits markiere aber auch die politische Ausrichtung der Medien relevante Unterschiede: Linke und liberale Medien thematisieren die Situation von Migranten deutlich häufiger als rechte und konservative Zeitungen und Online-Nachrichtenportale.
„Vor allem der zweite Punkt zeigt, dass stereotype Annahmen über Debatten in anderen Ländern fehl am Platz sind“, so Studienautor Marcus Kreutler weiter, „denn auch in Ländern wie Ungarn und Polen und erst recht in Deutschland bekommen Leser somit je nach Wahl des Mediums ein unterschiedliches Themen- und Meinungsspektrum rund um Flucht, Migration und Asyl geboten.“
Nirgendwo wird so viel über Migration berichtet wie in Deutschland
Allerdings sticht die Berichterstattung in Deutschland in mehreren Punkten heraus. In keinem anderen Land – außer Ungarn – wird so viel über Migration berichtet. So veröffentlichten beispielsweise die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Allgemeine Zeitung in den sechs Untersuchungswochen zwischen 2015 und 2018 mehr als 1000 Beiträge zum Flüchtlingsthema. In vielen osteuropäischen Ländern sind laut Studie im gleichen Zeitraum kaum mehr als 100 Artikel erschienen.
Flucht in den meisten Ländern eher Auslandsthema
Zudem spielen sich für Deutschland Migration und Flucht hauptsächlich im eigenen beziehungsweise ins eigene Land ab. Im Gegensatz dazu sind dies in den meisten anderen EU-Staaten Auslandsthemen: Es geht um Ereignisse fernab von zu Hause, jenseits der eigenen Grenzen.
„Dass Migration und Flucht meist als Themen der `Anderen´ und nicht als Sache des eigenen Landes dargestellt werden, kann ein Grund sein, weshalb eine Lösung der Asyl- und Einwanderungsfragen auf europäischer Ebene nicht vorankommt“, so Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto-Brenner- Stiftung.
In der Ukraine sind Flüchtlinge nach Russland Auslandsthema
Am deutlichsten werden Migration und Flucht in den untersuchten Medien in der Ukraine als reines Auslandsthema dargestellt. In der Studie heißt es dazu: „Dies mag für die Ukraine vor dem Hintergrund von Fluchtbewegungen aus vom Krieg betroffenen Gebieten überraschen: Projektpartner in Kiew erklären das Ergebnis mit innenpolitischen Bestrebungen, Migration und Flucht aus den besetzten Gebieten nach Russland zu de-thematisieren.“
Neben Deutschland beschreiben einzig die untersuchten Medien in Italien und Griechenland das Thema Flucht und Migration als Inlandsthema, in den russischen Medien liegen Inlands- und Auslandsthemen gleichauf. Ein ähnliches Bild zeigt sich in den USA.
Zur Berichterstattung über Migration insgesamt in den USA und Russland heißt es in der Studie: „In Russland (und auch in Weißrussland) ist die Aufnahme von Migranten und Flüchtlingen vor allem aus dem Osten der Ukraine ein relevantes, in Europa insgesamt jedoch nur wenig beachtetes Thema. In den USA wiederum berichten die New York Times und die Washington Post ähnlich wie die westeuropäischen Staaten in unserem Sample tendenziell positiver über Migration und Flucht – und bilden damit einen Gegenpol zur Regierung Trump.“
Nicht mit, sondern über Migranten berichten
Kritisch sieht Legrand auch, dass die Hauptbetroffenen der Migrationsberichterstattung, Migranten und Geflüchtete selbst, meist lediglich eine „Statistenrolle“ innehaben. Nur in einem Viertel der Berichte sind sie die zentralen Akteure und dann hauptsächlich als große und anonyme Gruppe. Als Individuen (oder Familien) erkennbar sind die Migranten und Flüchtlinge in nur 8 Prozent der Berichte.
„Wie viele andere Studien stellen auch wir einen starken Fokus auf Regierungen als Hauptakteure in der Berichterstattung fest“, merkt Legrand an und fährt fort: „Es ist fraglich, inwiefern die Medien so den berufsethischen Anspruch, eine `Stimme für die Stimmlosen´ zu sein, erfüllen können.“
Wichtig sei in diesem Zusammenhang auch, dass nur eine geringe Zahl von Betroffenen in den Artikeln direkt oder indirekt zitiert wird, ergänzt Prof. Fengler.
Eine bemerkenswerte Ausnahme macht die Studie jedoch in den US-amerikanischen Medien aus, in denen weit mehr Migranten und Flüchtlinge dargestellt und auch zitiert werden.
In der Gesamtschau ziehen Autoren und Stiftung ein eher skeptisches Fazit: Medien in Europa, heißt es im Vorwort der Studie, „müssen noch viele Unterschiede abbauen, um zu europäischen Medien zu werden.“"
Quelle: Sputnik (Deutschland)