ROG: Bundesrichter machen Hoffnung auf Ende der Vorratsdatenspeicherung
Archivmeldung vom 25.09.2019
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Freigeschaltet durch André OttReporter ohne Grenzen (ROG) begrüßt den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts, dem Europäischen Gerichtshof die offenen europarechtlichen Fragen zur deutschen Vorratsdatenspeicherung vorzulegen. (https://ogy.de/j1r7)
"Dieser Schritt macht Hoffnung, dass einer pauschalen und verdachtsunabhängigen Vorratsdatenspeicherung in Deutschland bald endgültig ein Riegel vorgeschoben werden könnte", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Der EuGH hat der Vorratsdatenspeicherung schon 2016 enge Grenzen gesetzt. Es ist höchste Zeit anzuerkennen, dass die aktuelle deutsche Regelung diesen Vorgaben nicht genügt, sondern gegen Grundrechte verstößt."
Mihr ergänzte: "Die Bundesregierung sollte sich endlich ein- für allemal von diesem überflüssigen und für die Pressefreiheit schädlichen Instrument verabschieden. Deutschland braucht keine pauschale Vorratsdatenspeicherung, sondern eine grundrechtskonforme Regelung, damit die Sicherheitsbehörden in konkreten Verdachtsfällen Verbindungsdaten schnell und gezielt aufzeichnen können."
SPEICHERPFLICHT SEIT 2017 AUSGESETZT
Dem Bundesverwaltungsgericht lagen die Revisionen gegen zwei Urteile des Verwaltungsgerichts Köln vor. Dieses hatte entschieden, dass die Speicherpflicht gegen Unionsrecht verstoße. Deshalb hatte das Kölner Gericht die Kläger - einen Internetprovider und einen Telefonanbieter -von der Pflicht zur Datenspeicherung befreit. (https://ogy.de/uh2z) Ähnlich urteilte 2017 das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster in einem Eilverfahren. Daraufhin setzte die Bundesnetzagentur die Anwendung der Speicherpflicht für alle betroffenen Unternehmen bis zu einer rechtskräftigen endgültigen Entscheidung ausgesetzt.
Die Ende 2015 in Kraft getretene Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland sollte Telekommunikationsanbieter nach dem Willen der großen Koalition verpflichten, vom 1. Juli 2017 an die Verbindungsdaten aller Kunden anlasslos zehn Wochen lang zu speichern (Standortdaten von Handys vier Wochen lang). Ermittlungsbehörden könnten damit bei Verfahren zu schweren Straftaten auf Abruf feststellen, wer wann wen angerufen hat und wer sich wann und mit welcher IP-Adresse ins Internet eingewählt hat.
VORRATSDATENSPEICHERUNG UNTERGRÄBT JOURNALISTISCHEN QUELLENSCHUTZ
Reporter ohne Grenzen kritisiert eine solche pauschale und verdachtsunabhängige Datenspeicherung seit vielen Jahren, weil sie den Schutz journalistischer Quellen untergräbt, zumal das Gesetz Berufsgeheimnisträger nur unzureichend schützt: Ihre Verbindungsdaten sollten zwar gespeichert, aber nicht verwendet werden. Auch steht der tatsächliche Effekt der VDS auf die Aufklärungsrate von Straftaten in grobem Missverhältnis zur Schwere des Grundrechtseingriffs.
ROG und andere Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen plädieren deshalb seit langem dafür, die Vorratsdatenspeicherung durch ein "System zur schnellen Sicherstellung und gezielten Aufzeichnung von Verkehrsdaten" in konkreten Verdachtsfällen zu ersetzen (http://t1p.de/ewvy). Entsprechende Forderungen sind auch Teil der Internationalen Grundsätze für die Anwendung der Menschenrechte in der Kommunikationsüberwachung, die ROG 2013 zusammen mit mehr als 260 Organisationen aus aller Welt beim UN-Menschenrechtsrat in Genf vorgelegt hat und als Maßstab für bestehende und künftige Gesetze betrachtet (http://t1p.de/ut2t).
EuGH-Urteil von 2016 lässt nur gezielte Speicherung zur Bekämpfung schwerer Straftaten zu
Der heutige Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts nimmt wie schon die Urteile der Vorinstanzen Bezug auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21. Dezember 2016. Darin kippte der EuGH - angestoßen durch Anfragen von Gerichten in Schweden und Großbritannien - die anlasslose Vorratsdatenspeicherung und ließ nur eine gezielte, "klar und präzise" geregelte Speicherung zur Bekämpfung schwerer Straftaten zu (http://t1p.de/8m69). Allerdings sind bei der Großen Kammer des EuGH Beschwerden mehrerer EU-Staaten gegen die anhängig, die ihren Geheimdiensten den Zugang zu den gespeicherten Daten erleichtern wollen (https://ogy.de/3tug).
Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags war schon im Januar 2017 zu dem Ergebnis gekommen, das deutsche Gesetz genüge diesen Anforderungen "nicht in vollem Umfang". (http://t1p.de/bmc2, PDF)
Deutschland steht auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 13 von 180 Ländern. Mehr zum Stand der Pressefreiheit in Deutschland finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/deutschland sowie in der Ende April veröffentlichten aktuellen "Nahaufnahme Deutschland" (https://ogy.de/6x3x).
Quelle: Reporter ohne Grenzen e.V. (ots)