Corinna Harfouch: Nur wenige Redaktionen bei ARD und ZDF sind noch bei Trost
Archivmeldung vom 20.09.2014
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittCorinna Harfouch zweifelt an ARD und ZDF: "Es gibt bei den Sendern nur noch ganz wenige Redaktionen, über die ich sage: Die sind noch irgendwie bei Trost, die denken noch nach, die pflegen noch eine Fantasie, die nicht von Tausenden Regeln erstickt ist", sagte die Schauspielerin der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Ich weiß gar nicht, ob ich bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehredaktionen von Feigheit sprechen soll", sagte die 59-Jährige weiter. "Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist ein System entstanden, in dem sich der einzelne Mensch kaum noch gegen den Apparat durchsetzen kann."
Dass in der Debatte um Qualitätsserien nur internationale Produktionen genannt werden, hat für Harfouch einen klaren Grund: Deutsche Qualitätsserien erwähnt niemand, "weil es keine gibt, die den Begriff verdient. Ich höre es aber auch immer wieder, weil mir Drehbücher mit genau dieser These angeboten werden: Das ist so was wie 'Breaking Bad' oder wie ich weiß nicht was", so Harfouch. Angebote dieser Art lehnt die Starschauspielerin regelmäßig ab, zuletzt war es "'Die Füchsin'. Es geht - raten Sie mal! - um eine Privatdetektivin. Es ist doch fürchterlich! Es gibt nichts anderes mehr. Alle anderen Berufe spielen keine Rolle mehr."
Hart ins Gericht ging Harfouch auch mit dem Filmerbe der DDR. Dass der ostdeutsche Programmschatz 25 Jahre nach dem Mauerfall kaum noch bekannt ist, kommentierte Harfouch so: "Gott sei Dank. Es ist nicht alles ein Schatz. Es gab unfassbar viel Schrott, und der wird eben verschrottet. Man muss nicht alles aufbewahren. Vieles war mittelmäßig, hässlich, grob und ungekonnt. Und das sehr absichtsvoll. Die Arbeiter-und-Bauern-Unterhaltung wollte ideologisieren und hat das mehr als holprig angestellt."
Und doch hat Harfouch auch gute Erinnerungen an die konspirative und engagierte Stimmung, in der damals Kunst gemacht wurde: "Ich habe das mal vermisst. Extrem", so Harfouch. "Aber dann hat mich der Satz einer Freundin aus dem Westen aufgerüttelt, die mir gesagt hat: Aha, aha, du brauchst für dein künstlerisches Wohlbefinden also eine Diktatur. Und es ist etwas Wahres dran: Kunst in der Diktatur macht auf eine ambivalente Weise viel mehr Spaß, man spürt sich ganz einfach mehr." Der Preis dafür sei allerdings zu hoch. Außerdem "stehen in der jetzigen Gesellschaft viel härtere Fragen an". Den Unterschied zur Kultur im Osten beschrieb Harfouch deshalb so: "Früher haben wir protestiert, weil wir nicht leben konnten, wie wir wollten. Heute hindert uns keiner mehr daran, und jetzt erst müssen wir die Frage beantworten: Wie will ich denn nun leben? Wie lebt man richtig? Die Freiheit ist viel anspruchsvoller als die Kritik an der Unfreiheit."
Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung (ots)