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Twittermädchen von Aleppo: vom STERN verklagter Blogger im Interview

Archivmeldung vom 05.08.2017

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 05.08.2017 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Bild: berlin-pics  / pixelio.de
Bild: berlin-pics / pixelio.de

Stern.de hatte im Dezember 2016 eine Story über ein siebenjähriges Mädchen gebracht, das aus dem umkämpften Aleppo twitterte. Ein Blogger bezeichnete den Stern-Artikel daraufhin als Fake News und Propaganda und wurde vom Stern verklagt. Exklusiv äußern sich nun der Blogger und sein Anwalt im Interview bei Sputnik.

Dazu ist auf der deutschen Webseite zu lesen: "Mitte Juli kam es am  Landgericht Hamburg zum Prozess des Autors des Magazins „Stern“  Marc Drewello und dessen Verlages gegen Jens Bernert, Betreiber des Blogs „Blauer Bote“. Bernert hatte in einem Blogeintrag einen Artikel des Stern-Autors zu einem siebenjährigen Mädchen, das aus dem syrischen Aleppo twitterte, als Fake-News und Propaganda bezeichnet. Dies wurde dem Blogger unter Androhung einer hohen Geldstrafe gerichtlich untersagt. Sputnik berichtete über den Fall und die Geschichte des „Twittermädchens“.

Nachdem der Betreiber des „Blauen Boten“ zunächst keine Interviews geben wollte, hat er sich nun gegenüber Sputnik geäußert. Auch Bernerts Rechtsanwalt Markus Kompa will seinen Mandanten weiter vertreten und gegen das Urteil vorgehen.

Im Beschluss der Pressekammer des Landgerichts Hamburg  vom 17. Juli 2017 heißt es:

„Im Wege der einstweiligen Verfügung – der Dringlichkeit wegen ohne mündliche Verhandlung – wird es dem Antragsgegner bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, ersatzweise einer Ordnungshaft für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre), verboten,

1. [im Verhältnis zum Antragsteller zu 1)] folgende Äußerungen zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen:

a. den Antragsteller zu 1) als „Nachrichtenfälscher“ zu bezeichnen;

b. der Antragsteller zu 1) produziere „Falschmeldungen zu Propagandazwecken“;

c. den Antragsteller zu 1) als „Fake-News-Produzent“ zu bezeichnen;

d. der Antragsteller zu 1) verbreite eine „offenkundige Lügengeschichte“;

2. [im Verhältnis zu beiden Antragstellern] die Äußerung, die Antragsteller verbreiteten „Lügen“, zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen.

Das Gericht in Hamburg beschränkte das Verfahren ausschließlich auf die Behauptung, dass der Stern-Autor absichtlich  Unwahrheiten verbreitet habe. Es ging nicht um den tatsächlichen Wahrheitsgehalt der Geschichte. Der verklagte Blogger Bernert empfand die Verhandlung als ungerecht:

„Alles in allem war es eine kafkaeske Farce, bei der die Richterin immer wieder gebetsmühlenartig sagte, dass die Wahrheit, der Stand der Wissenschaft, journalistische Sorgfaltspflichten oder der gesunde Menschenverstand keine Rolle spielen, Es war gefühlt eine Verhandlung Stern und Gericht gemeinsam gegen mich.“

Auch Markus Kompa, der Rechtsanwalt des Bloggers bezeichnete den Prozess Blauer Bote vs. Stern als „materiellrechtlich, prozessual und politisch absurde Farce“. Kompa sieht durch dieses Urteil die Pressefreiheit in Gefahr:

„Politisch ist es absurd, wenn ein auf Pressefreiheit angewiesener Verlag wie der Stern ohne Not pressefeindliche Judikate produziert. Absurd ist, dass ein Magazin die durchschaubarste Kriegspropaganda folgenlos publizieren kann, während von einem Blogger, der das Persönlichkeitsrecht eines Autors oder eines Unternehmens tangiert, Beweis für deren — so liest es das Gericht — vorsätzliches Lügen erbringen soll.“

Im Prinzip kann mit diesem Urteil die Verbreitung von Fake News legitimiert werden. Autoren, zumindest solche mit finanzstarken Verlagen im Hintergrund, können sich immer darauf berufen, dass ihnen nicht nachgewiesen werden kann, dass sie mit Absicht die Unwahrheit geschrieben haben.

„Laut dem Gerichtsbeschluss darf man wohl nicht mehr sagen ‚Qualitätsjournalist XYZ verbreitet Fake News‘. Selbst wenn dieser behauptet, die Erde sei eine Scheibe. Man kann ja nicht in seinen Kopf schauen.“

Inhaltlich hätte der Autor des „Sterns“ sehr wohl bei seiner Recherche feststellen können, ja müssen, dass es viele Ungereimtheiten in dem Falle des twitternden Mädchens gibt. Neben vielen Artikeln und Analysen zu diesem Thema in größeren und kleineren Medien, ist für Bernert schon aufgrund des gesunden Menschenverstandes klar, dass es sich hier um einen Fake handelt:

„Alleine schon die Behauptung, dass hier ein siebenjähriges arabischsprachiges Mädchen in perfektem Englisch twittere, ist so absurd, dass hier jeder stutzig werden muss, sogar ein Qualitätsjournalist.“

Auch sieht der Blogger Bernert hier eine Blaupause für Propaganda:

„Skurril ist ja, dass landauf und landab und manchmal zurecht Menschen die Verbreitung von Fake News vorgeworfen wird — und Herr Drewello macht dies ja auch — aber wenn es dann nachweisbare Propaganda betrifft, die große juristische Keule geschwungen wird, um den "Regimekritiker" mundtot zu machen.“

Die eigentliche Geschichte des Twittermädchens, die der Blogger kritisierte und die bewusst vom Hamburger Gericht nicht verhandelt wurde, hält Bernert für bezeichnend für die westliche Berichterstattung über den Syrienkrieg. Entsprechend erwartet er auch keine Artikel zu dem Hamburger Gerichtsurteil in überregionalen Medien, da somit auch das Interesse an der eigentlichen Story um das Twitter-Account der Syrerin geweckt werden könnte:

„Lassen Sie uns Tacheles reden: Es geht um Propaganda. Und der Bana-Alabed-Fall und seine Aufdeckung könnten unsere ganze westliche Syrienpropaganda zum Einsturz bringen, wenn er sich rumspricht. Momentan lässt sich das Thema noch ganz gut in der Filterblase der Propagandakritiker halten. Wenn die Leitmedien berichten — und sei es auch absolut gegen mich — wird das Interesse wecken und dann könnte es einen Dominoeffekt geben und die Syrienpropaganda könnte komplett kippen und das könnte noch weitere Folgen haben.“

Sowohl Bernert, als auch sein Anwalt kritisieren auch den Gerichtsprozess und insbesondere den Fakt, dass der Beschuldigte erst zur dritten Verhandlung persönlich einbezogen und vorgeladen wurde, während das Gericht von Anfang an mit dem Kläger kommunizierte:

„Da ich nichts von den beiden vorherigen Eilverfahren wusste, konnte ich natürlich auch keine Beweismittel oder Belege zu meinen Gunsten einbringen. Vor der ersten Verhandlung — zur dritten Gerichtsentscheidung insgesamt — vor dem Landgericht Hamburg hat mein Anwalt eine ganze Menge solcher Belege bei Gericht eingereicht und ich selbst war ob der Qualität des Materials einigermaßen zuversichtlich, auch wenn mir die Hamburger Rechtsprechung nicht unbekannt war. Jetzt lagen die Beweise ja dem Gericht vor. Aber offenbar haben diese Belege gar nicht interessiert.“, so Bernert.

Rechtsanwalt Kompa will seinen Mandanten durch alle Instanzen begleiten, auch wenn er sich auf einen langwierigen Prozess einstellt:

„Wir werden Berufung einlegen und gegebenenfalls in die Hauptsache gehen, und zwar durch alle Instanzen, notfalls zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Das kann allerdings ein Jahrzehnt dauern, was im Meinungskampf um Kriegspropaganda nur begrenzt hilfreich ist.“

Zur Finanzierung der Verfahren hat der Rechtsanwalt einen auf Spenden angewiesenen Verein gegründet, der Blogger in solchen Fällen unterstützen soll. Sein eigenes Honorar darf der Anwalt allerdings, gesetzlich vorgeschrieben, dem Mandanten nicht erlassen:

„Der Verein wird alle Kosten tragen, soweit diese nicht mein Honorar betreffen, da insoweit ein Interessenkonflikt besteht. Mein Honorar muss der Blogger selber stemmen. Als Anwalt darf ich bei Vertretung vor Gericht auch nicht auf mein nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz festgeschriebenes Mindesthonorar verzichten.“

Anwalt Kompa äußert sich in seinem eigenen Blog auch sehr kritisch zum Hamburger Urteil, zum Verhalten des Stern und zum Inhalt des Artikels des Stern-Autors zum Twittermädchen. Auf die Frage, ob der Anwalt nicht um seine eigene Reputation fürchtet, gab sich Kompa im Sputnik-Interview kämpferisch:

„Der Letzte, der mich zu verklagen versucht hat, hat das vermutlich sehr bereut. Meine undiplomatische Kritik an der Medienindustrie und Hamburger Pressegerichten dürfte meiner geschäftlichen Reputation tatsächlich schaden, aber ich werde mir treu bleiben. Angepasste Menschen gibt es genug.”"

Quelle: Sputnik (Deutschland)

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