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„Die Macht um acht“: Ein Buch darüber, wie die „Tagesschau“ tickt

Archivmeldung vom 03.06.2017

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 03.06.2017 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Cover "Die Macht um acht: Der Faktor Tagesschau"
Cover "Die Macht um acht: Der Faktor Tagesschau"

Jeden Abend schauen etwa neun Millionen Menschen die „Tagesschau“ der ARD. Die Sendung gilt als wichtigster Nachrichtenüberblick des Landes. Seit der Ukraine-Krise und dem Syrienkrieg mehren sich jedoch die Zuschauer-Beschwerden. Der Journalist Ulrich Gellermann hat diese zusammen mit zwei ehemaligen NDR-Mitarbeitern untersucht.

Im Interview, das von Armin Siebert geführt wurde und auf der deutschen Webseite des russischen online Magazins "Sputnik"nachzulesen ist, heißt es: "Herr Gellermann, Forscher der Universität Harvard haben die Medienberichterstattung über die ersten 100 Tage der Präsidentschaft von Donald Trump in den USA, aber auch in Großbritannien und Deutschland untersucht. Für Deutschland wurde exemplarisch die „Tagesschau“ der ARD untersucht. Heraus kam, dass niemand so negativ über Trump berichtet wie die Tagesschau: 98 Prozent aller Berichte der ARD hatten einen negativen Inhalt. Überrascht Sie das?

Also erstmal kann ich mir ein fettes Grinsen nicht verkneifen. Sie wissen, dass die „Tagesschau“ zu jener Medienfraktion zählt, die mit dem Begriff Anti-Amerikanismus hantiert, um Kritik an den USA mundtot zu machen. Und jetzt wurde sie selbst bei heftigem Anti-Amerikanismus erwischt. Das ist schon ein Grund zur Erheiterung.

Aber ernsthaft: Nein, es überrascht mich nicht. Denn die ARD und mit ihr die „Tagesschau“ hat einen Wahlkampf für Hillary Clinton geführt, gegen Trump. Der Zuschauer sollte glauben: Trump wäre von den Russen gesteuert, also böse, und Hillary wäre die Gute. Beides stimmte natürlich nicht. Und jetzt hat die ARD den Wahlkampf verloren. Aus dieser Sicht eines Wahlkampfverlierers beurteilen die Mitarbeiter der „Tagesschau“ heute ihren damaligen Favoriten Trump.

Sie haben ein Buch veröffentlicht, in dem Sie genau das, nämlich die Berichterstattung der „Tagesschau“ untersuchen. Warum gerade die „Tagesschau“? Hätten Sie es sich nicht einfacher machen und die Bildzeitung untersuchen können? Aber die Tagesschau  — das ist ja nun der heilige Gral der seriösen Berichterstattung.

Ja, das erzählt man sich. Unser Buch heißt deshalb ja auch „Die Macht um Acht“. Es gibt in Deutschland kein anderes Medium, das eine ähnlich wichtige Position in der Nachrichtengebung hat wie die „Tagesschau“. Das hat damit zu tun, dass sie riesige Zuschauer-Quoten erzielt. Sie schlägt täglich jedes andere Medium, ohne Probleme. Das liegt auch am von Ihnen zitierten Ruf der Sendung, wenn Sie sagen: Sie gilt als ‚Heiliger Gral‘ des Journalismus. Das ist natürlich Unsinn. Auch die Tagesschau verbreitet Fake News wie die Bild-Zeitung. Allerdings ist die Spezialität der ARD nicht das Verbreiten von Fake-News, sondern von No-News.

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Wir haben das Buch zu dritt geschrieben.  Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer sind zwei  ehemalige ARD-Mitarbeiter, also  altgediente Journalisten, die aus dem Inneren des Apparats kommen. Wir haben über mindestens zwei Jahre sehr sorgsam die Tagesschau-Ausgaben beobachtet. Die beiden Kollegen haben dazu noch jede Menge Programmbeschwerden geschrieben, die der ARD und der Tagesschau sehr detailliert permanente Fake- News, beziehungsweise No-News nachgewiesen haben.

Wie ist das Prozedere, wenn man Programmkritik an den Öffentlich-Rechtlichen äußern will. Kann ich denen einfach eine Email schicken mit meiner Beschwerde?

Bräutigam und Klinkhammer haben das immer gern an den jeweiligen Rundfunkrat geschrieben. Das ist ein Gremium, das den Redaktionen beigeordnet ist und nach den Rundfunkstaatsverträgen für die Öffentlich-Rechtlichen eine kontrollierende Funktion haben könnte. Man kann auch an den Intendanten direkt schreiben. Man kriegt sogar irgendwann eine Antwort. Nach sechs bis acht Wochen. Meistens handelt es sich um den immer gleichen Stehsatz. Wir beschweren uns weniger wegen der ARD-Reaktion, sondern wir stellen unsere Kritik ins Netz und führen so eine öffentliche Medien-Debatte.

Von den ganzen Programmbeschwerden, die Ihnen bekannt sind, ist da jemals eine akzeptiert worden, also dass die Verantwortlichen gesagt haben: Ja, sorry, da haben wir einen Fehler gemacht?

Nein, auf keinen Fall. Das machen die Sender nicht. Sie wollen ja ihr Gesicht wahren. Wenn, dann reagieren sie indirekt. Vor kurzem hat der ARD-aktuell Chefredakteur Dr. Kai Gniffke reagiert, natürlich ohne Namen zu nennen ohne konkret zu werden. Jüngst hat er über das Inforadio des „rbb“ verbreiten lassen, dass diejenigen, die Kritik an der Tagesschau üben, nur „Hater“, also Hasser sind. Das ist eine beliebte Methode, um sachliche Kritik abzuwürgen: Kritiker gelten eben nicht als rational, sondern bestenfalls als emotional.

Oft geht es ja heutzutage, gerade bei den sogenannten seriösen Medien subtiler zu. Das ist ja oft keine Holzhammer-Propaganda à la Bildzeitung. Welche Rolle spielt das Wording? Und vielleicht könnten Sie dafür ein, zwei Beispiele geben?

Ganz typisch ist das sprachliche Um-Schminken von Fakten im Syrienkrieg gewesen. Die „Tagesschau“ hat aus den dort agierenden Terroristen gern „Rebellen“ oder „Aufständische“ gemacht, sie also positiv formuliert. Eine ähnliche Sprach-Methode hat sie auch im Ukrainekrieg eingesetzt. Dort wurden dann aus gewöhnlichen Nazis Freiheitskämpfer. Und wie selbstverständlich heißt die Europäische Union in der Gniffke-Redaktion immer wieder „Europa“. So als gehöre Russland nicht zu Europa. Ein politsprachlicher Trick, der nicht nur ausgrenzt sondern parallel auch noch westliche Machtansprüche reklamiert.

Eine zweite Methode der Desinformation ist die Auswahl der Nachrichten bzw. das Weglassen. Die Tagesschau läuft nun mal nur 15 Minuten. Da kann man wirklich nicht alle Themen abbilden.

Nehmen Sie zum Beispiel eine Meldung vom 23. Mai, da hat die Eliteeinheit der US Navy Seals mal eben im Jemen ein paar Leute getötet. Diese Nachricht existiert bei der „Tagesschau“ einfach nicht, obwohl der Einsatz der USA völkerrechtswidrig war, obwohl es ein Kriegsverbrechen war. Aber das ist genau so eine Nachricht, die lieber unterdrückt wird. Die „Tagesschau“ macht in solchen Fällen lieber No-News, die elegante Variante der Fake-News. Denn im Jemen-Krieg sind zwei Partner der Bundesrepublik engagiert: Die USA und Saudi-Arabien. Da will die Tagesschau kein diplomatisches Porzellan zerschlagen.

Keiner zwingt die „Tagesschau“ alle Themen zu bringen. Aber das, was sie bringt, das sollte schon der Wahrheit entsprechen.

Die meisten der in Ihrem Buch angeführten Beschwerden beziehen sich auf die Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt und den Syrienkrieg. Warum gibt es gerade hier so viele Fehler und warum reiben sich so viele Menschen an diesen Themen?

Das gesamte System der „Tagesschau“ fußt in der Kriegsberichterstattung darauf, generell „gute“ und „schlechte“ Kriegsparteien zu behaupten. Das liegt daran, dass die ARD ein parteiisches Instrument ist. Sie arbeitet fast wie ein Regierungssender. Sie übernimmt das Wording, das heißt die Richtlinien, die von der Regierung vorgegeben werden. Wer parteiisch an einen Krieg herangeht, der kann keine saubere Berichterstattung machen. Allerdings sind die Zuschauer der Tagesschau nicht blöd. Wer in der heißen Zeit des Ukraine-Konflikts auf die Internetseite der „Tagesschau“ ging, der konnte in den Diskussionsforen eine erstaunliche Sachkunde bei den Zuschauern bemerken, die fast täglich der „Tagesschau“ Fehler nachwiesen.

Außerdem muss man vermuten, dass eine parteiische Kriegsberichterstattung den nächsten Krieg vorbereitet: Das treibt viele Menschen um, das macht ihnen Sorgen.

Die Hauptfrage ist ja bei so etwas immer: ist das Absicht oder Unwissenheit? Zweiteres würde ich eigentlich bei so einer hochprofessionellen, hochbezahlten und bestens personell und technisch ausgestatteten Redaktion wie der der „Tagesschau“ ja fast nicht für möglich halten.

Es ist eine Mischung. Natürlich ist es im wesentlichen Absicht der Redaktion, den Regierungs-Mainstream zu verbreiten. Da gibt es klare politische Richtlinien, meiner Auffassung nach, auch wenn wir das nur schwer nachweisen können. Aber so viele Ähnlichkeiten zwischen Regierungs-Meinung und Nachrichtengebung können keine Zufälle sein. Außerdem gibt es jüngere Journalisten in der Tagesschau-Redaktion, die sich an den scheinbar erfahrenen und wichtigen Redakteuren orientieren. Jene Redakteure, die auch darüber entscheiden, ob der junge Kollege seinen Job behält oder nicht, ob er Karriere machen kann. Dieses Konglomerat aus regierungsfrommer Parteilichkeit und sehr eingeschränkter Professionalität schafft das Ergebnis, das wir kennen: Einen Mangel an Objektivität und Sachkunde.

Das Buch „Die Macht um acht – Der Faktor Tagesschau“ ist im Verlag PapyRossa erschienen.

Quelle: Sputnik (Deutschland)

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