Günter Grass im Interview: "Ich werde mich auch weiterhin als Schriftsteller wie auch als Bürger äußern"
Archivmeldung vom 16.08.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSeit seinem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" in der vergangenen Woche, in dem er zugab, mit 17 Jahren in die Waffen-SS eingetreten zu sein, ist eine Diskussion um Glaubwürdigkeit des Schriftstellers Günter Grass entbrannt. In einem Gespräch mit NDR Kultur nimmt der Literaturnobelpreisträger Stellung.
Auf den Hauptvorwurf, er hätte seine Mitgliedschaft in der
Waffen-SS schon viel früher veröffentlichen sollen, entgegnet Grass
wörtlich: "Diese Kritik muss ich wahrnehmen und es ist eine, die ich
mir selber stelle. [...] Ich kann nur, nicht entschuldigend, aber
erklärend sagen, dass es bestimmte Themen gab, die bei mir lange
lagerten. [...] Ich war nicht in der Lage, das einfach isoliert in
der Öffentlichkeit so mitzuteilen; ich hab das mit mir herumgetragen.
Es war mit Pausen präsent, und erst als ich für mich die Form des
autobiografischen Schreibens gefunden habe, war ich in der Lage, das
mitzuteilen. Das Bedürfnis war da, es zu tun."
Kritiker bemängeln, Günter Grass habe durch seine lange
verheimlichte Vergangenheit seine Glaubwürdigkeit als moralische
Instanz verloren. Gegenüber NDR Kultur betonte Grass, mit diesem
Vorwurf müsse er leben. Seine politischen Einschätzungen und
Ansichten werde er aber jetzt nicht zurücknehmen. Das gelte
beispielsweise auch für seine Kritik an Ex-Bundeskanzler Kurt-Georg
Kiesinger. Grass wörtlich: "Das sind Einschätzungen, die ich auch
aufgrund meiner Erfahrungen gemacht habe. Ich gehöre zu dieser
gebrannten Generation und habe daraus sehr früh dann nach und nach
mit dem Wachsen meiner politischen Einsichten und Kenntnisse meine
Konsequenzen daraus gezogen. [...] Ich werde mich auch weiterhin als
Schriftsteller wie auch als Bürger äußern."
Viele Zeitungen veröffentlichen heute das Faksimile der
Entlassungspapiere von Günter Grass aus der Kriegsgefangenschaft.
Darin ist seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS vermerkt. Der
Vorwurf, der Schriftsteller habe mit seinem Bekenntnis einer
Veröffentlichung der Akten zuvorkommen wollen, weist Grass als
"abenteuerlich und reine Spekulation" zurück. Er habe bereits vor
drei Jahren angefangen, an dem Buch zu arbeiten und habe sich "unter
keinerlei Druck durch Veröffentlichung bei Behörden gesehen. Der
Zwang, den ich ausgeübt habe, der kam von mir. Ich habe mich
gezwungen, darüber zu schreiben."
Quelle: Pressemitteilung NDR Kultur