junge Welt: »Der Sex im Osten war keine Ware«
Archivmeldung vom 16.03.2013
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittJutta Resch-Treuwerth, bis 1990 Redakteurin der damaligen FDJ-Zeitung Junge Welt und 20 Jahre lang Autorin des legendären wöchentlichen Ratgebers »Unter vier Augen«, spricht in der Wochenendausgabe der jungen Welt über Liebe und Sex damals und heute, über das, was an Rechten und Selbstverständlichkeiten verloren gegangen ist und über die Schaffung von Bedürfnissen in der Konsumgesellschaft. Das Verhältnis der Geschlechter sei in der DDR »sehr entspannt« gewesen.
Dazu habe auch die Tatsache beigetragen, daß Sex keine Ware war. Viele Rechte und liberale Regelungen, die es zu DDR-Zeiten schon einmal gab, seien heute verloren. Resch-Treuwerth: »Anwaltspflicht bei jeder Scheidung halte ich für Geldschneiderei. Ein Trennungsjahr ist Willkür. Vor der Ehe fragt auch niemand wie lange das Paar schon zusammen gelebt hat. Kostenfreie Verordnung von hormonellen Schwangerschaftsverhütungsmitteln war eine konsequente Trennung von Fortpflanzung und Lust und hat angstfreien Sex ermöglicht. Dass Frauen in einem Beratungsgespräch erklären müssen, warum sie gerade kein Kind möchten, ist für mich Diskriminierung.«
Die Journalistin, Buchautorin und Familienberaterin erzählt von Liebesbriefen, die Alltagsgeschichte schreiben und schildert eine für sie ganz neue Erfahrung mit Behinderung ihrer Arbeit nach dem Mauerfall. Ministerialbeamte aus den alten Bundesländern hätten gefunden, »dass man meine Sauereien den Eltern nicht zumuten könne. Sie hatten keine Ahnung davon, wie offen und unverschnörkelt hier in Familien Aufklärung erfolgte«.
Zur Rolle der Medien sagte Resch-Treuwerth, diese trügen »erheblich dazu bei, daß das Sexuelle maßlos überschätzt wird«. Es finde eine »Einmischung in intimste Angelegenheiten statt«. Die »Produktion von Bedürfnissen« sei »Ziel der Konsumgesellschaft«, auch beim Sex: »Wie wunderbar, dass alle Defizite behoben werden können. Durch Pillen, Kosmetika, Operationen, Kurse, Diäten, Bücher, Filme. Für jede Störung ein Produkt.«
Quelle: junge Welt (ots)