netzwerk recherche kritisiert Nannen-Preis-Vergabe in der Kategorie "Investigative Recherche"
Archivmeldung vom 12.05.2012
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 12.05.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas netzwerk recherche, der Verein investigativer Journalisten in Deutschland, kritisiert die Vergabe des Henri-Nannen-Preises in der Kategorie "Investigative Recherche". Der Jury des Nannen-Preises fehlt offenbar zum wiederholten Mal ein klares Verständnis für die journalistischen Kriterien. Im Fall der Auszeichnung der "Bild"-Zeitung verwechselt sie einen erfolgreichen "Scoop" mit der besten investigativen Leistung.
"Investigativ arbeiten" heißt nicht, wie die Jury offenbar glaubt, eine möglichst skandalträchtige Schlagzeile zu produzieren oder von anderen Medien möglichst oft zitiert zu werden. Das sind allenfalls Begleiterscheinungen. "Investigativ arbeiten" heißt vor allem, ein gesellschaftlich relevantes Thema hartnäckig zu verfolgen, gegen Widerstände zu recherchieren, dabei neue Erkenntnisse zu gewinnen und sie verständlich zu präsentieren. Also journalistische Aufklärung im besten Sinne zu betreiben.
Die Aufdeckung der Hintergründe um den Privatkredit des Bundespräsidenten Christian Wulff durch die "Bild"-Zeitung war verdienstvoll und richtig. Dennoch war sie nach den oben genannten Kriterien nicht die beste investigative Leistung des vergangenen Jahres.
Wenn der Henri-Nannen-Preis seinem Selbstverständnis als wichtigster deutschsprachiger Journalistenpreis in Zukunft noch gerecht werden will, muss er seine Entscheidungsfindung ändern. Er sollte sich dabei am Pulitzer-Preis der USA orientieren. Ähnlich wie beim Nannen-Preis wählen in den USA zunächst fachlich qualifizierte Vorjurys diejenigen Artikel aus, die in die engere Wahl kommen. Die Hauptjury, die anschließend über die Vergabe entscheidet, besteht aber nicht wie in Deutschland aus 15 Chefredakteuren und Prominenten, sondern aus meist sieben Fachleuten pro Kategorie (beispielsweise erfahrene investigative Journalisten und frühere Preisträger). Über der Fachjury sitzt beim Pulitzer-Preis zwar noch ein Board, dass sich in der Regel aber an das Votum der Fachjury hält und nur in Ausnahmefällen eine andere Entscheidung trifft. Sowohl die nominierten Beiträge als auch die Zusammensetzung der Jury sind bis zur Bekanntgabe der Gewinner geheim, um Einflussnahme und Lobbying zu verhindern.
Dieses Verfahren führt dazu, dass beim Pulitzer-Preis Fachleute entscheiden und nicht Generalisten nach Gefühlslage oder Proporzdenken wie viel zu oft beim Henri-Nannen-Preis.
Quelle: netzwerk recherche (ots)