Kopflos in der Krise
Archivmeldung vom 17.06.2008
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 17.06.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Oliver RandakOhne Chef, ohne Strategie: Der Abgang von ProSiebenSat.1-Boss Guillaume de Posch offenbart die Turbulenzen im Medienkonzern.
In den letzten Wochen hatte Guillaume de Posch, Vorstandsvorsitzender
des börsennotierten TV-Konzerns ProSiebenSat.1, nicht viele Anlässe zur
Freude. Auf der Hauptversammlung des Unternehmens am vergangenen
Dienstag hagelte es Proteste gegen Vorstand und die Großaktionäre, die
Finanzinvestoren Permira und KKR: Die neuen Eigner führten sich als
Ausbeuter auf, plünderten das Unternehmen, indem sie sich selbst eine satte Dividende von 270 Millionen Euro genehmigten,
die den gesamten Jahresgewinn von 249 Millionen übersteigt.
Gleichzeitig ächze der Konzern unter dem harten Sparkurs, verliere an
Wert und zeige Führungsschwäche. „Keine Strategie“, kritisierten
Aktionärsschützer.
Nur eine Woche später kam das Aus für de Posch: Nach vier Jahren an
der Spitze des zweitgrößten deutschen Fernsehkonzerns muss der Belgier
zum Jahresende gehen, meldete ProSiebenSat.1 am Dienstag.
Branchenkenner hatten einen solchen Schnitt schon seit einiger Zeit
erwartet: Das Verhältnis zwischen de Posch und dem obersten
Konzernkontrolleur, Aufsichtsratschef Götz Mäuser, war offenbar seit
geraumer Zeit, vorsichtig formuliert, nicht frei von Dissonanzen.
Finanzvorstand Lothar Lanz und der oberste Werbezeitenverkäufer Peter
Christmann hatten bereits vor einiger Zeit ihre Posten verloren.
Nachfolger nicht in Sicht
Wie
hektisch die Personalie de Posch nun aber abgewickelt worden sein muss,
zeigt die Tatsache, dass der Aufsichtsrat noch keinen Nachfolger
präsentieren kann. Die Szenerie bei einem Hintergrundgespräch für
ausgewählte Journalisten vor einigen Tagen ließ Schlüsse auf die
Befindlichkeiten des Führungspersonals zu: Während Aufseher Mäuser
ausführlich über Finanz- und auch Programmfragen sprach, hörte de
Posch, mit entspanntem Gesichtsausdruck in der Runde sitzend, meistens
nur zu. Die ganze Chose, hatten Beobachter den Eindruck, schien ihn
nicht mehr zu beunruhigen.
Dabei ist der Konzern in eine
dramatische Schieflage geraten: Zu sinkenden Werbeeinnahmen und
schwächelnden Quoten kommt ein Schuldenstand, der sich zu
furchterregenden 3,4 Milliarden Euro aufgetürmt hat. Die jährlichen
Zinszahlungen drücken den Konzern mit etwa 260 Millionen Euro jährlich.
Zweifelhafte Strategie der Heuschrecken
Die
Verantwortung tragen die neuen Besitzer KKR und Permira: Die
Finanzinvestoren hatten im Dezember 2006 zunächst den
ProSieben.Sat.1-Konzern von den Vorbesitzern um den US-Medienmillardär
Haim Saban für etwa 3,1 Milliarden Euro gekauft und ein halbes Jahr
später die Fusion mit dem europäischen TV-Konzern SBS angeordnet, der
ihnen bis dato ebenfalls gehörte. Für diesen Deal, der in der Branche
auf große Skepsis stieß, musste ProSiebenSat.1 eine Summe aufwenden,
die den Wert des eigenen Unternehmens überstieg: 3,3 Milliarden Euro
flossen auf die Konten von KKR und Permira.
Die angekündigten
Synergieeffekte aus der Verschmelzung der beiden Unternehmen blieben
freilich weitestgehend aus. ProSiebenSat.1 war gezwungen, immer wieder
über Verkäufe von Unternehmensteilen zu entscheiden. Unter anderem
musste die Produktionssparte, das Filetstück des Konzerns, die ein
Drittel der etwa 6000 Mitarbeiter beschäftigt, zum Kauf angeboten
werden. Erst vor wenigen Tagen trennte sich der Medienkonzern von
seiner skandinavischen Pay-TV-Tochter C More Group AB, die auf 320
Millionen Euro taxiert wird.
Ohne Not in die Krise
De
Posch war im Mai 2004 Nachfolger des Schweizers Urs Rohner auf dem
Chefposten bei ProSiebenSat.1 Media geworden. Er galt als Vertrauter
von Haim Saban, mit dem er eng zusammenarbeitete. Legendär wurde die
Kommunikation der beiden via Blackberry – zu jeder Tages- und Nachtzeit
tauschten sie Informationen aus. Der Fernsehmanager de Posch, der einst
auch für die Unternehmensberatung McKinsey gearbeitet hatte, musste
nach der Übernahme durch die beiden Finanzfirmen mit einer neuen
Unternehmensphilosophie klarkommen: Rendite um jeden Preis.Als der
gewiefte An- und Verkäufer Saban den Konzern abgab – er hatte seine
Investition innerhalb von drei Jahren fast vervierfacht – stand
ProSiebenSat.1 gesund und weitgehend ohne Belastungen da. Das hat sich
grundlegend geändert: Unter den Mitarbeitern geht die Angst um, dass
die Eigner das Unternehmen nun endgültig filetieren wollen.