Juli Zeh: "Die Bundesrepublik hat die AfD beim Universum bestellt und bekommen"
Archivmeldung vom 27.02.2020
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Freigeschaltet durch André OttJuli Zehs Roman "Unterleuten" war 2016 der Bestseller des Jahres. Jetzt wurde das Buch verfilmt: Der große TV-Dreiteiler "Unterleuten" läuft am 9., 11. und 12. März, 20.15 Uhr im ZDF. Exklusiv in HÖRZU verrät die Autorin (45), die nebenbei ehrenamtliche Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg ist, was die Hauptthemen ihres Buchs und gleichzeitig die größten gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit sind: der "Gegensatz von Stadt und Land" und der "politische Klimawandel".
Zeh: "Ich lebe selbst in einem Dorf und erlebe ständig, mit wie viel Unverständnis hier auf die Themensetzung der Schlagzeilen und Nachrichtenportale reagiert wird. Wenn zwei Menschen Vollzeit arbeiten, um ihre Familie zu ernähren, gleichzeitig die Kinderbetreuung schaffen müssen, sich um Haus und Hof kümmern, und am Monatsende reicht es trotzdem kaum zum Überleben, während um sie herum weder Busse noch Züge fahren, Arztpraxen schließen, zu wenig Schulen vorhanden sind - dann ist es für sie vielleicht schwer verständlich, was das riesige Problem an einem To-go-Kaffeebecher sein soll."
Hat man auf dem Dorf oft das Gefühl, die Politik interessiere sich nicht für einen? Auf diese Frage antwortet Zeh: "Das ist kein Gefühl, sondern eine Tatsache. Manchmal frage ich mich wirklich, ob die Politiker nichts von der dörflichen Realität verstehen können oder ob sie es nicht wollen. Bei den letzten Landtagswahlen in Brandenburg war die AfD krasserweise die einzige Partei, die Plakate aufgehängt hat, von denen ich weiß, dass sie ins Herz der Bedürfnislage zielen - und zwar keine ausländerfeindlichen Plakate, sondern solche mit Themen, die die Leute wirklich beschäftigen. Wenn ich an diesen Plakaten vorbeifuhr, habe ich die ganze Zeit gedacht, dass die Bundesrepublik die AfD beim Universum bestellt und bekommen hat. Die Ignoranz, dass es auf dem Dorf andere Meinungen zu vielen Fragen gibt, führt dazu, dass es jetzt eine Kraft gibt, die das checkt und für sich ausnutzt."
Zwar will Zeh nicht selbst in die Politik gehen: "Mir wäre ein aktiver Politikerjob zu hektisch." Doch sie sorgt sich sehr um den politischen Klimawandel: "Wir erleben zurzeit einen politischen und diplomatischen Klimawandel, sowohl innerstaatlich als auch international, der mir manchmal mehr Angst macht als der meteorologische. Wir müssen aufpassen, dass wir das nicht aus den Augen verlieren. Das perfekte Klima wird uns nichts nützen, wenn der europäische Frieden ins Kippen gerät, wenn aggressive Nationalisten regieren oder ein Bürgerkrieg droht."
Quelle: HÖRZU (ots)