Der Pressekodex gilt auch für Verleger
Archivmeldung vom 11.10.2005
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Freigeschaltet durch Michael DahlkeDie "Badischen Neuesten Nachrichten" haben einer Lokalredakteurin fristlos gekündigt, weil sie einen kritischen Artikel über "Lidl" veröffentlicht hatte. Der Großdiscounter ist einer der größten Anzeigenkunden der baden-württembergischen Regionalzeitung. www.heise.de, berichtet
"Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden. Verleger und Redakteure wehren derartige Versuche ab und achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken."
Das klingt logisch und steht so wörtlich in Ziffer 7 des Pressekodex. Diese gemeinsam von Journalisten- und Verlegerverbänden festgelegten publizistischen Grundsätze sind verbindlich für alle in Deutschland erscheinenden Printmedien und deren Online-Ableger. Sie gelten demnach auch für Hans Wilhelm Baur, Verleger der Badischen Neuesten Nachrichten (BNN), und dessen Adoptivsohn Klaus Michael Baur, der als Herausgeber und Chefredakteur des Regionalblattes fungiert. Doch ganz in der Manier von Provinzfürsten haben die Baurs den Pressekodex für ihren Einflussbereich außer Kraft - und eine Redakteurin kurzerhand an die Luft gesetzt, weil sie den Anzeigengroßkunden "Lidl" mit einem Beitrag offensichtlich verärgert hatte.
Schlechte Arbeitsbedingungen
Vor ihrer fristlosen Kündigung hatte die Journalistin 11 Jahre für den Verlag gearbeitet. Ende August besuchte die 38-Jährige auf Einladung des Großdiscounters das Zentrallager in Bietigheim. Statt der offensichtlich vom Anzeigenkunden erwarteten durchgehend freundlichen Reportage, enthielt der in der Raststatter Lokalausgabe veröffentlichte Artikel auch kritische Anmerkungen über "Lidl". Unter der Überschrift "Handarbeit bei bis zu 24 Grad minus" ging die Redakteurin unter anderem auf das von der Gewerkschaft "Verdi" veröffentlichte "Schwarzbuch Lidl" ein. Darin wird der wirtschaftliche Erfolg der Billigmarktkette vor allem "mit den schlechten Arbeitsbedingungen" begründet (Das System Lidl).
Das war wohl zu viel für den Großkunden des Blattes, der nach Recherchen des Südwestrundfunks Anzeigen im Wert von 1,4 Millionen Euro pro Jahr bucht. Die "taz" berichtet unter Hinweis auf BNN-Betriebsrat Ralf Kattwinkel, dass "Lidl" die Verlagsgeschäftsführung einbestellt - und mit Hinweis auf die zweimal pro Woche geschalteten großflächigen Anzeigen mächtig Druck gemacht habe.
Fadenscheinige Gründe
Verleger Baur gab dem Druck nach und setzte die Lokalredakteurin mit der fadenscheinigen Begründung vor die Tür, dass sie gegen die Richtlinien der Verlages verstoßen habe. Im Gespräch mit dem Berliner "Tagesspiegel" legte Chefredakteur Baur Junior nach: "Die Journalistin hat es an Sorgfalt fehlen lassen. Im Gespräch hat sie sich uneinsichtig gezeigt. Wir konnten nicht anders."
Inzwischen scheint der öffentliche Druck Wirkung zu zeigen. Nach verschiedenen Medienberichten wollen die Baurs jetzt offensichtlich einen Arbeitsgerichtsprozess mit der entlassenen Redakteurin vermeiden und damit weiteren Imageschaden abwenden. Der Deutsche Journalistenverband (DJV) hofft inzwischen sogar, dass die Kündigung rückgängig gemacht wird. Auch einer öffentlichen Rüge des Presserats wegen Verstoßes gegen Ziffer 7 des Pressekodex könnten die badischen Verleger damit zuvorkommen.
Quelle: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21111/1.html
Kommentar:
Der hier geschilderte Fall, zeigt einmal mehr: das sich Journalisten an ungeschriebene und dennoch für jeden geltende Gesetze in benahe jeder Redaktion zu halten haben. Zwar sind Kündigungen wegen unerwünschten Beiträgen selten, Abmahnungen und Einschränkungen (verschiedenster Art) sind aber an der Tagesordnung. In der Regel geschieht eine Zurechtweisung zwei "bei besonderen Härtefällen" dreimal und der Mitarbeiter ist auf gewünschte Linie getrimmt. Bestimmte Beiträge werden dann nicht mehr eingereicht oder man vermeidet von vornherein ein unliebsames Thema aufzugreifen.
M. Dahlke