Studie über Gewalt gegen Frauen in Medien: Tragische Einzelfälle oder strukturelles Problem?
Archivmeldung vom 05.07.2021
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 05.07.2021 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Sanjo BabićDie Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen bleibt in deutschen Medien oft auf den "Einzelfall" fixiert, strukturellen Hintergründen wird wenig Raum gegeben, "Familientragödie" oder "Ehedrama" verlieren als verharmlosende Begriffe an Bedeutung. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie der Otto Brenner Stiftung.
Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland stark verbreitet, sie betrifft Frauen allen Alters und aus allen sozialen Schichten. Die mit zwei Dritteln "alltäglichste" Form der Gewalt ist dabei die Körperverletzung, Täter sind in über der Hälfte der Fälle (Ex-)Partner oder Männer aus dem nahen sozialen Umfeld.
Allerdings wird über diese alltäglichen Formen von Gewalt kaum in den Medien berichtet, wie die Untersuchung "Tragische Einzelfälle - Wie Medien über Gewalt gegen Frauen berichten" nun zeigt: Lediglich 18 Prozent der Berichte thematisieren Körperverletzungsdelikte und weniger als jeder vierte Artikel handelt von partnerschaftlicher Gewalt. "Offensichtlich ist Gewalt gegen Frauen und vor allem Gewalt in intimen Beziehungen immer noch ein großes Tabu - in der Gesellschaft wie auch bei den Medienschaffenden", konstatiert Studienautorin Dr. Christine Meltzer. Gewalt gegen Frauen werde nur dann in den Medien aufgegriffen, so Meltzer weiter, wenn sie eine besonders brutale Form annimmt und etwa mit dem Tod des Opfers ende - was in der Realität aber nur einen Bruchteil (weniger als 1 Prozent) der verübten Gewalt ausmache.
Für die Studie hat die Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Mainz die Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen in 17 deutschen Medien zwischen den Jahren 2015 und 2019 untersucht und dabei rund 3.500 Beiträge aus überregionalen und regionalen Tageszeitungen sowie Boulevardzeitungen ausgewertet.
Die Ergebnisse der empirischen Erhebung zeigen eine deutliche Überbetonung bestimmter Gewalttaten, während andere viel zu wenig in den Medienberichten ausgeleuchtet werden - es klaffen große Lücken zwischen den Zahlen aus der Kriminalstatistik und deren medialer Relevanz. Ein weiter Befund ist, dass die überwiegende Mehrheit der Artikel (ca. 70 Prozent) auf der Ebene einer reinen Einzelfallbeschreibung verbleibt. Eine thematische Einordnung, inklusive dem Aufzeigen von Gründen, Lösungswegen und präventiven Maßnahmen bei Gewalt gegen Frauen, findet kaum statt. "Es ist klar, dass nicht jeder einzelne Fall im Kontext struktureller Entwicklungen dargestellt werden kann", so Meltzer. "Es kann jedoch mit wenigen Mitteln, beispielsweise dem Verweis auf Statistiken und dem Einbezug von Sachverständigen, zum schrittweisen Verständnis für die Dimensionen des gesellschaftlichen Problems beigetragen werden." Medien könnten so das Problem sichtbar machen, die Gesellschaft sensibilisieren und auch zum Gewaltschutz beitragen. Letzteres ist, so ein Vorschlag der Untersuchung für zukünftige Medienberichterstattung, auch durch die Nennung von Hilfsangeboten - ähnlich dem Vorgehen bei der Suizidberichterstattung - möglich, aber bisher kaum eine Praxis, die sich in den untersuchten Artikeln nachweisen lässt.
Die Studie zeigt außerdem, dass sich die Herkunft der Täter inzwischen in den Medienberichten stärker niederschlägt. Seit den Ereignissen der Kölner Silvesternacht 2015/16 wird diese immer häufiger genannt. Eine überproportionale Nennung der Herkunft nichtdeutscher Tatverdächtiger - im Vergleich zur polizeilichen Kriminalstatistik - findet die Studie dabei zwar nicht, allerdings deuten die Ergebnisse an, dass vor allem die Taten von Nichtdeutschen zum Politikum gemacht und Gewalthandlungen gegen Frauen somit kulturalisiert werden.
"Dass von Gewalt betroffene Frauen zunehmend Gehör in Öffentlichkeit und Politik finden, auch Kraft und Mut haben, offen über ihre Erlebnisse zu sprechen, ist eine positive Entwicklung, die zu begrüßen ist", sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung. "Diese Entwicklungen müssen aber auch von den Medien mit einer angemessenen Form der Berichterstattung begleitet und unterstützt werden - da sehen wir noch viel Luft nach oben." Der Umstand, dass sich verharmlosende Begriffe wie "Familientragödie" oder "Ehedrama" entgegen der landläufigen Auffassung deutlich weniger in der Berichterstattung niederschlagen, zeige allerdings, so Legrand weiter, dass Medien durchaus in der Lage sind, dazuzulernen und auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu reagieren: "Das stimmt zuversichtlich, dass auch die wenig hintergründige Einzelfallbeschreibung bald an Bedeutung verliert und Medien angemessener und faktensicherer über Gewalt gegen Frauen berichten."
Quelle: Otto Brenner Stiftung (ots)