Philosoph Omri Boehm kritisiert deutsche Erinnerungskultur

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er deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm übt scharfe Kritik an der deutschen Erinnerungskultur. "In Zeiten, die man - im Sinne Hannah Arendts - als 'finstere' bezeichnen muss, ist das Sprechen kaum noch möglich. Und über Erinnerung zu sprechen, noch weniger", sagte Boehm der Wochenzeitung "Die Zeit".
Boehm war ursprünglich als Redner zur Gedenkfeier anlässlich des 80.
Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald eingeladen
worden. Auf Drängen von Vertretern der israelischen Regierung wurde
diese Einladung jedoch zurückgezogen. Israels Botschafter in
Deutschland, Ron Prosor, warf Boehm vor, er relativiere "unter dem
Deckmantel der Wissenschaft" die Schoah und instrumentalisiere die
Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.
Boehm, der an der New School
for Social Research in New York lehrt, weist die Vorwürfe entschieden
zurück. Jeder, der sich mit seiner Arbeit auseinandersetze, wisse: "Ich
schreibe als Enkel von Holocaust-Überlebenden, um die Erinnerung zu
verteidigen." Seine Teilnahme an der Gedenkfeier habe einem
verantwortungsvollen Gegenentwurf gegolten - einem, "der aus der
jüdischen Tradition kommt und aus dem Geist der Aufklärung". Er habe
seinen zehnjährigen Sohn aus New York mitgebracht, "um ihm von der
Vernichtung seiner Familie im Holocaust zu erzählen". Und seinen Vater
aus Israel, der seine Großeltern in Theresienstadt und Auschwitz
verloren habe - und mit einer Mutter aufwuchs, die 1939 in letzter
Sekunde entkommen konnte.
Mit Blick auf den Krieg im Gazastreifen
und die ambivalente Haltung Deutschlands übte Boehm deutliche Kritik an
der Regierung von Benjamin Netanjahu. Die Zerstörung, die derzeit zu
beobachten sei, lasse viele zweifeln, ob das Recht - als Ausdruck
westlicher Erinnerungskultur - überhaupt noch als solches gelte oder
längst zur Ideologie geworden sei. Die zentrale Aufgabe bestehe nun
darin, so Boehm, zu zeigen, "dass dieses Recht trotz seiner historischen
Zusammenhänge ernst genommen werden kann als Recht". Anderenfalls,
warnt er, "werden wir auch der Erinnerung an die Schoah nicht gerecht."
Boehm
setzt sich seit Jahren für eine binationale Einstaatenlösung zwischen
Israelis und Palästinensern ein - eine Position, für die er 2024 mit dem
Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet wurde.
Auf die Frage, ob Deutschland Netanjahu festnehmen müsse, sollte dieser
- wie zuletzt von CDU-Chef Friedrich Merz angeregt - nach Deutschland
reisen, antwortete Boehm: "Völkerrecht ist kein Vorschlag. Es ist
Recht."
Quelle: dts Nachrichtenagentur