Voß kritisiert politische Einflussnahme bei "Wut" Rechenschaftsbericht zum Fall Ullrich/Boßdorf vor dem SWR-Rundfunkrat
Archivmeldung vom 29.09.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSWR-Intendant Peter Voß hat sich im Zusammenhang mit der Verschiebung des Fernsehfilms "Wut" vor dem SWR-Rundfunkrat gegen politische Interventionen verwahrt: "Politiker, die sich sonst gern als penible Advokaten des Jugendschutzes darstellen, fordern uns auf, es diesmal nicht so genau zu nehmen und Bedenken der Jugendschützer einfach beiseite zu wischen, ohne den Film selbst überhaupt gesehen zu haben.
Dass unsere Entscheidung in
einen Zusammenhang mit der Absetzung der Oper Idomeneo in Berlin
gerückt wird, wo es ja um eine vorauseilende Selbstzensur wegen
angeblicher terroristischer Drohungen ging, halte ich für
unangemessen." Im übrigen hoffe er, dass die ganze Aufregung dazu
beitrage, dass dieser wichtige und notwendige Film auf seinem neuen
Sendeplatz heute um 22.00 Uhr im Ersten viele Zuschauer finden werde,
und er hoffe auf eine intensive Diskussion über Jugendgewalt und
Ausländerintegration.
Nach den Vorgängen um die ARD-Verträge mit dem Radsportler Jan
Ullrich bekannte sich Voß in der Sitzung des SWR-Rundfunkrates in
Ludwigshafen zu seiner "politischen Mitverantwortung". Er stellte
noch einmal klar, dass derartige Exklusivverträge mit aktiven
Sportlern mit den publizistischen Selbstverständnis der ARD nicht zu
vereinbaren seien. In einem detaillierten Rechenschaftsbericht
erläuterte Voß die Hintergründe, die zu dieser Vereinbarung geführt
hatten, und beschrieb Fehler und Pannen. Er machte klar, dass er sich
unabhängig von einem persönlichen Fehlverhalten zu einer
Gesamtverantwortung für die Vorgänge bekenne. Voß nahm auch Stellung
zu den von der Presse kritisierten Vertragsverlängerungen von
ARD-Programmdirektor Dr. Günter Struve und ARD Sportkoordinator Hagen
Boßdorf und nahm zugleich den künftigen ARD-Vorsitzenden Fritz Raff
gegen Vorwürfe aus der Presse in Schutz. Voß erläuterte Hintergründe
dieser Entscheidungen und wandte sich dagegen, dass die "gerade erst
verbesserten Möglichkeiten der Gremienkontrolle von interessierter
politischer Seite im Rückblick auf frühere Fehler schon wieder
problematisiert und in Frage gestellt werden". Voß betonte, die
Kritik an einzelnen Entscheidungen der ARD dürfe nicht dazu
missbraucht werden, die großen Programmleistungen der
Arbeitsgemeinschaft in Information, Kultur, Bildung, Beratung,
Unterhaltung und nicht zuletzt auch im Sport herunterzureden: "Die
publizistische Kraft und Verantwortung der ARD und des SWR bewährt
sich Tag für Tag, Alltag für Alltag. Wir werden die gegenseitige
Ansehens- und Vertrauenskrise überwinden. Mit der ARD ist es ein
bisschen wie mit der amerikanischen Demokratie - ihre Vitalität ist
ungebrochen, ihre Kraft zur Selbstkorrektur ebenfalls. Es handelt
sich um die Korrektur einzelner Auswüchse, aber die Grundrichtung
stimmt. Und das gilt erst recht für den SWR."
Der Bericht des Intendanten wurde nach intensiver, zum Teil
kontroverser Debatte zur Kenntnis genommen. Der Vorsitzende des
SWR-Rundfunkrates, Hans Lambert, sprach von einer notwendigen,
klärenden Diskussion nach der umfassenden Darstellung des
Intendanten: "Damit ist die Debatte um die Gefahr einer
Selbstkommerzialisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks noch
nicht abgeschlossen; sie wird die Gremien weiter beschäftigen".
Mit Blick auf seine Nachfolge begrüßte Intendant Voß die "klare Weichenstellung" der SWR-Gremien, sich für einen der drei Bewerber aus dem eigenen Hause zu entscheiden. Eine lange Einarbeitungszeit werde in keinem Fall von Nöten sein: "Der SWR steht hervorragend da. Er hat unter schwierigsten Bedingungen alle Herausforderungen gemeistert, seine Strukturen und Programme permanent optimiert und bewiesen, dass man auch mit knapper werdenden Ressourcen überzeugende Ergebnisse erzielen kann. Kurz und gut: Für mich bleibt nicht mehr sehr viel zu tun." Voß gab bekannt, unabhängig von den aktuellen Vorgängen habe er sich entschieden, zum frühesten der von ihm bereits genannten Termine, also zum 30. April 2007, aus dem Amt zu scheiden.
Quelle: Pressemitteilung SWR