Türkei: ROG verurteilt Schließung von kurdischer Zeitung Özgür Gündem
Archivmeldung vom 16.08.2016
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittReporter ohne Grenzen (ROG) verurteilt die Schließung der kurdischen Zeitung Özgür Gündem in der Türkei. Ein Gericht in Istanbul ordnete an, die Zeitung wegen Verbreitung von Propaganda für die verbotene kurdische Untergrundorganisation PKK zu schließen.
"Die Schließung von Özgür Gündem macht deutlich, dass die aktuelle Repressionswelle gegen Journalisten in der Türkei nicht auf tatsächliche oder vermeintliche Gülen-Unterstützer beschränkt ist", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Auch kurdische Journalisten und ihre Medien werden unverändert von Behörden und Justiz drangsaliert. Offensichtlich ist die türkische Regierung immer weniger willens, abweichende Stimmen in den Medien zu dulden."
Die 1992 gegründete Özgür Gündem gilt als Symbol für das Ringen der kurdischen Bevölkerung darum, dass ihre Unterdrückung angemessen in den Medien dargestellt wird. Immer wieder wurden Ausgaben beschlagnahmt; die Zeitung war für längere Zeit verboten und musste jahrelang unter wechselnden anderen Namen weitergeführt werden.
Die Zeitung habe de facto als Nachrichtenmedium für die PKK fungiert, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters am Dienstag aus einem Gerichtsdokument (http://t1p.de/6v2u). In anderen Berichten hieß es unter Berufung auf den Anwalt der Zeitung, die Reisepässe von zwei ihrer Journalisten seien für ungültig erklärt worden; dies sei auf der Basis eines Dekrets im Rahmen des Ausnahmezustands geschehen (http://t1p.de/pgsw).
Infolge der Repressionswelle seit dem Putschversuch Mitte Juli ist Türkei innerhalb weniger Wochen zum Land mit den weltweit meisten inhaftierten Journalisten geworden - noch vor notorischen Unterdrückern der Pressefreiheit wie den Regimen in China und dem Iran (http://t1p.de/f3lw). Mittlerweile geht bei Reporter ohne Grenzen eine zunehmende Zahl von Nothilfeanfragen türkischer Journalisten wegen der aktuellen Verfolgung ein. Nötig sind deshalb aus Sicht der Organisation nun unbürokratische Hilfen westlicher Staaten wie Notfall-Visa für Journalisten und Menschenrechtsverteidiger, die in der Türkei nicht mehr sicher sind.
VIELE REPRESSALIEN GEGEN KURDISCHE JOURNALISTEN SEIT DEM PUTSCH
Die Repressionswelle gegen Journalisten und Medien seit dem Putschversuch Mitte Juli schien sich zunächst vor allem gegen tatsächliche oder vermeintliche Unterstützer der religiösen Gülen-Bewegung zu richten. Bislang wurden mehr als hundert Medien geschlossen und über 40 Journalisten Journalisten verhaftet - darunter viele, die Korruption und Machtmissbrauch der Regierung aufgedeckt haben. Weitere wurden mit Ausreiseverboten belegt (http://t1p.de/f3lw).
Inzwischen mehren sich aber auch wieder Repressalien gegen kurdische Journalisten. So wurden am vergangenen Wochenende ein Reporter der pro-kurdischen Nachrichtenagentur DIHA festgenommen (http://t1p.de/g7rb) und vier weitere an einer Straßensperre der Polizei mit dem Tod bedroht (http://t1p.de/85l5). Vergangene Woche ordnete ein Gericht in Istanbul an, die Reisepässe von sechs Özgür-Gündem-Mitarbeitern zu annullieren (http://t1p.de/f3mf). Anfang August wurde am Flughafen von Diyarbakir der Chefredakteur der Zeitung Özgür Halk festgenommen (http://t1p.de/b5ux). Schon Ende Juli hatte ein Richter in Ankara angeordnet, die Twitter-Accounts von Özgür Gündem und DIHA zu sperren.
KURDISCHE MEDIEN SEIT ENDE DES WAFFENSTILLSTANDS MIT DER PKK UNTER DRUCK
Bereits vor dem Putschversuch war im Juni der Türkei-Korrespondent von ROG, Erol Önderoglu, zusammen mit der Vorsitzenden der türkischen Menschenrechtsstiftung, Sebnem Korur Fincanci, und dem Cumhuriyet-Kolumnisten Ahmet Nesin zehn Tage in Haft, weil sie symbolisch für einen Tag die Chefredaktion von Özgür Gündem übernommen hatten. Auch nach ihrer Freilassung wird gegen sie weiter wegen angeblicher Terror-Propaganda ermittelt. Gegen weitere Journalisten, die sich an der Solidaritätsaktion mit der Zeitung beteiligt hatten, ermittelte ebenfalls die Justiz.
Der staatliche Druck auf kurdische Medien hatte schon seit dem Ende des Waffenstillstands der Regierung mit PKK im Juli 2015 deutlich zugenommen. Über die Situation die Situation der Medien vor dem Hintergrund des wieder eskalierenden Kurdenkonflikts hat ROG im Oktober 2015 einen ausführlichen Bericht veröffentlicht (http://t1p.de/g9ns).
Auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit von ROG steht die Türkei auf Platz 151 von 180 Staaten. Weitere Informationen zur Lage der Pressefreiheit in dem Land finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/türkei.
Zur Protestmail-Aktion gegen die juristische Verfolgung des ROG-Türkeikorrespondenten Erol Önderoglu geht es unter www.reporter-ohne-grenzen.de/mitmachen/erol-oenderoglu/, zur Aktion für die in erster Instanz verurteilten Cumhuriyet-Journalisten Can Dündar und Erdem Gül unter https://www.reporter-ohne-grenzen.de/mitmachen/duendar-guel/.
Quelle: Reporter ohne Grenzen e.V. (ots)