Aktivistin Domscheit-Berg warnt vor einer verengten Debatte über sexualisierte Gewalt
Archivmeldung vom 16.01.2016
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIn Hinblick auf die aktuelle Debatte um sexualisierte Gewalt gegen Frauen warnt die Publizistin Anke Domscheit-Berg davor, das Problem ausschließlich bei Männern mit Migrationshintergrund zu verorten. "Wenn wir das tun, blenden wir die 99 Prozent des Problems aus, in denen deutsche Männer Frauen Gewalt antun", schrieb Domscheit-Berg in einem Meinungsbeitrag für das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), dem rund 30 Tageszeitungen angehören.
Für Opfer spiele es keine Rolle, welche Hautfarbe, Herkunft oder Religion ein Angreifer habe. Massenübergriffe durch rund 1000 Männer vorwiegend arabischer und nordafrikanischer Herkunft in der Silvesternacht vor dem Kölner Hauptbahnhof hatten die Debatte entfacht. Obwohl jede zweite Frau in der EU bereits sexuelle Belästigung erfahren habe, würden entsprechende Vergehen von den Opfern viel zu selten angezeigt. "Ein Grund dafür ist der Spießrutenlauf, den Frauen oft durchlaufen. Die Standardvorwürfe: Die Tat sei frei erfunden, die Frau sei irgendwie selbst schuld", schrieb die einstige brandenburgische Landesvorsitzende der Piraten-Partei weiter. In Deutschland wird die jährliche Dunkelziffer bei Vergewaltigungen auf rund 160 000 Fälle geschätzt. Ein weiteres Problem sei das deutsche Rechtssystem, das sexuelle Übergriffe nicht mit hinreichender Schärfe ahnde: "Einer Frau unter den Rock zu greifen oder ihre Brüste zu begrapschen, ist kein Straftatbestand. Dies kann höchstens als ,sexuelle Beleidigung' interpretiert werden, aber solche Verfahren werden oft eingestellt", kritisierte Domscheit-Berg und forderte eine Verschärfung des Sexualstrafrechts. Es könne nicht sein, dass lediglich Übergriffe, bei denen rohe Gewalt angewendet oder angedroht würden, strafrechtlich relevant seien. In Deutschland heiße es sogar "Freispruch, wenn ein als gewalttätig bekannter Täter eine schreiende Minderjährige vergewaltigt, weil die Tür nicht verschlossen war und sie ja hätte wegrennen können". Schon ein gesprochenes ,Nein' müsse auch Nein bedeuten. Einen vergangene Woche von Justizminister Heiko Maas (SPD) vorgestellten Entwurf für eine Strafrechtsreform, wonach sexuelle Belästigung künftig als eigenständiger Straftatbestand behandelt werden sollen, begrüßte Domscheit-Berg und forderte darüber hinaus ein Klima, "in dem man den Frauen endlich Glauben schenkt". So könne ein veränderter gesellschaftlicher Konsens die Dunkelziffern verringern, mehr Straftaten ans Tageslicht bringen und ein reformiertes Strafrecht für mehr Verurteilungen sorgen.
Quelle: Redaktionsnetzwerk Deutschland (ots)