Publizist Bernd Ziesemer: "Mehr recherchieren, weniger kuratieren"
Archivmeldung vom 03.09.2014
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMit einer eindrucksvollen Rede hat sich Bernd Ziesemer, lange Jahre Chefredakteur vom "Handelsblatt", in die Debatte eingebracht, wie Journalismus auch in Zukunft Leser, Zuhörer und Zuschauer begeistern kann. "Eine Gefahr für unabhängige Medien entsteht erst dann, wenn sie anfangen, ihre Unabhängigkeit zu verlieren", ist der Publizist überzeugt.
Bei der Podiumsdiskussion "Journalismus zwischen Content und Crowd", zu dem die rheinland-pfälzische Staatsministerin Margit Conrad gemeinsam mit dem Mainzer Medien-Disput in die Landesvertretung Rheinland-Pfalz in Berlin einlud und die SWR-Chefreporter Prof. Thomas Leif moderierte, fand Bernd Ziesemer deutliche Worte.
"Was ist eigentlich Journalismus? News is what someone somewhere wants to supress - the rest is advertising. Dieser alte angelsächsische Spruch gilt heute mehr denn je", so Bernd Ziesemer. "Mein alter Freund und Kollege Arno Balzer hat kürzlich den schönen Spruch hinzugefügt: "Recherchieren statt kuratieren". Ich glaube er hat verdammt recht: Wir müssen als Journalisten wieder mehr übers Recherchieren und weniger übers Kuratieren von Nachrichten reden. Dann muss uns um unabhängigen Journalismus nicht bang sein", so Bernd Ziesemer.
Doch der erfahrene Journalist warnt eindrucksvoll: "Eine Gefahr für unabhängige Medien entsteht erst dann, wenn sie anfangen, ihre Unabhängigkeit zu verlieren.
Wenn aus Redaktionsangeboten selbst versteckte und verschwiemelte Content-Marketing-Angebote werden. Das neudeutsche Stichwort dazu lautet: "Native Advertising". Ich bin fest davon überzeugt: Das ist die größte Gefahr, die es jemals für seriösen Journalismus gab.
Wenn sich Werbeinhalte im redaktionellen Umfeld wie journalistische Inhalte gerieren, verlieren letztlich beide Seiten: Die Medien ihre Unabhängigkeit und damit ihre eigentliche gesellschaftliche und ökonomische Daseinsberechtigung - und die beteiligten Unternehmen ihre Reputation. Ich habe schon vor zwei Jahren, als diese Diskussion in Deutschland begann, vor dem "Pyrrhussieg" der Schleichwerbung gewarnt.
Je erfolgreicher sie seriöse Medien durchdringt, umso mehr schaufelt sie sich letztlich ihr eigenes Grab. Oder um ein Bild aus der Biologie zu gebrauchen: Der Parasit bringt am Ende sein eigenes Wirtstier um. Medien berichten unabhängig - oder sie hören auf, Medien zu sein. Nach dieser Definition werden Sie verstehen, warum ich die meisten deutschen Mode- und Möbelzeitungen nicht mehr zur unabhängigen Presse zähle. Und warum ich glaube, dass es kein großer Verlust ist, wenn sie durch direkte Content-Marketing-Angebote der Unternehmen ersetzt werden."
Bernd Ziesemer glaubt nicht daran, dass aus den Crowdfunding-Projekten "eine neue Ökonomie breitflächiger journalistischer Angebote entstehen kann. Dazu sind die Summen, über die wir sprechen, selbst in den USA viel zu klein. Aber Projekte wie die Krautreporter können als Seismografen dienen, was Menschen künftig von Journalisten erwarten. Und was ihnen Journalismus wert ist. Deshalb wäre es gut, wenn es mehr solche Projekte gäbe - zum Beispiel im Wirtschaftsjournalismus", so Ziesemer in Berlin.
Quelle: Medienfachverlag Oberauer GmbH (ots)