Medienkonsumenten zunehmend genervt von der Trivialität der Inhalte
Archivmeldung vom 19.11.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWenn die Menge der Angebote steigt, wird es nicht besser: Die Deutschen zeigen sich zunehmend genervt von der Trivialität der Medien. In einer vom Bremer Methoden- und Beratungsunternehmen nextpractice durchgeführten Interview-Studie zu den Veränderungen in der Medienlandschaft zeichnet sich das Dilemma klar ab.
"Die
Befragten kritisieren in überraschender Deutlichkeit die für das Web
2.0 typischen Angebote mit weitgehend ungefilterten,
nutzergenerierten Inhalten als oberflächlich und nicht förderlich für
die eigene Entwicklung", fasst Professor Peter Kruse,
geschäftsführender Gesellschafter von nextpractice, das Ergebnis der
Studie zusammen. "Auch wenn das tatsächliche Konsumverhalten oft noch
eine andere Sprache spricht, suchen die Menschen verstärkt nach
Medien, die sie dabei unterstützen, sich zurecht zu finden und
Zusammenhänge zu verstehen."
Ohne angemessene Bewertungsmechanismen erstickt das Internet an
der Masse der eingepflegten Informationen. Demnach macht sich
angesichts von Kurzfristigkeit und fehlendem Tiefgang selbst bei der
Einschätzung des reinen Unterhaltungswertes mittlerweile Enttäuschung
breit: "Rundherum positiv schneiden tatsächlich nur noch
Internet-Angebote ab, bei denen die Inhalte entweder sorgfältig von
einer Redaktion überarbeitet werden oder wie etwa bei Wikipedia einem
anderen Verfahren unterliegen, das die Qualität sichert."
Generell schätzen die Nutzer am Web 2.0 zwar, dass man sich aktiv
einbringen und mit Gleichgesinnten vernetzen kann. Aber die ehedem
hoch gelobten Angebote wie Youtube, Second Life und Blogs werden
bereits in großer Distanz zu den persönlichen Wunschvorstellungen
gesehen. "In der intuitiven Bewertung liegen diese Angebote bereits
nah bei Boulevardpresse und Trash-TV", erläutert Peter Kruse die neue
Wertewelt der Mediennutzer. "Man schaut zwar hin, fragt sich aber
gleichzeitig, warum man eigentlich noch hinschaut." Die Hoffnungen,
die ins Internet gesetzt werden, beziehen sich eher auf innovative
Formen der medialen Aufbereitung von Informationen und auf die
Erleichterung sozialer Austauschprozesse. Große Hilflosigkeit macht
sich breit angesichts der schieren Menge der Inhalte. Die Nutzer
befürchten, dass in allen Medien die Tendenz zur Trivialisierung
weiter voranschreitet.
Fazit: "Das Mitmach-Web 2.0 verliert an Faszination. Der Hunger
nach Qualität steigt", so Kruse. Die plakative Medienschelte des
gerade bundesweit in den Kinos angelaufenen Films "Free Rainer" von
Hans Weingartner trifft demnach durchaus einen sensiblen Punkt.
Allerdings ist die Quotenorientierung im Fernsehen, die im
Mittelpunkt der Satire steht, nur ein Symptom für das zu Grunde
liegende Problem. Die Ergebnisse der nextpractice-Studie legen nahe,
dass sich die Erwartungshaltungen der Nutzer in eine Richtung
verändern, die von den professionellen Medienmachern nicht
hinreichend wahrgenommen und bedient wird. Die Annahme, dass nur
massentauglich sein kann, was auffallend oder leicht verdaulich ist,
stimmt nicht mit den Wertepräferenzen der in der Studie befragten
Konsumenten überein.
Die Nutzer wünschen sich nach Aussage des nextpractice-Chefs
Medien, die die Vorzüge eines guten Journalismus mit den
Möglichkeiten des Web 2.0 verknüpfen. "Für die Befragten verbindet
das ideale Medium die Aspekte Komplexitätsreduktion, Nachhaltigkeit
und Sinnstiftung mit Formen aktiver Beteiligung und spontaner
Eigendynamik. Es trennt Wichtiges von Unwichtigem, erhöht das
Verständnis für die Welt und liefert authentische Informationen, die
eine hohe Alltagsrelevanz besitzen."
Der wissenschaftliche Leiter der Studie erläutert darüber hinaus:
"Bemühungen, die Informationsflut im Internet durch persönliche
Empfehlungen, aktive Kategorisierung oder Social Bookmarking zu
lösen, sind auf Dauer nicht geeignet, das Mengenproblem zu lösen und
das System zu entlasten." Im Gegenteil: Die Vielfalt von
Primärinformationen werde lediglich um die Vielfalt individueller
Strukturierungsvorschläge erweitert und die Unübersichtlichkeit nur
noch weiter vergrößert. "Wenn die Zahl potentieller Berater in einem
System ebenso schnell steigt wie die Zahl der potentiellen Probleme,
dann werden die Berater selbst zum Problem", bringt es der Professor
auf den Punkt.
In letzter Konsequenz könnte die anfängliche Web 2.0-Euphorie und
deren Auswirkung auf die Medienlandschaft dazu führen, dass eine
zweite Internet-Blase nun im Kopf des Nutzers und nicht wie beim
ersten Mal an der Börse platzt. "Je mehr Menschen sich aktiv daran
beteiligen, das Netz mit Inhalten zu fluten, desto wichtiger und
gleichzeitig schwieriger wird es, etwas zu finden, dass man brauchen
kann. Ohne innovative Suchmechanismen und die Erhöhung der
Bedeutungshaltigkeit entwickelt sich das Internet zum Dinosaurier -
großer Körper und zu kleines Hirn", warnt Peter Kruse.
Die Faszination der überbordenden Vielfalt sei schnell verflogen
und die Frage nach dem realen Mehrwert trete in den Vordergrund: "Mit
der Demokratisierung des Zugangs zu Informationen wird die Bewertung
von Information immer mehr zum kritischen Erfolgsfaktor. Kurz gesagt:
Die Menschen wollen Medien, die sie nicht nur einfach unterhalten,
sondern wirklich persönlich weiterbringen", weiß der Trendforscher.
"In Zukunft haben besonders die Medienunternehmen und
Dienstleistungen Chancen im Wettbewerb, denen es gelingt, attraktive
Darstellungsformen, offene Vernetzung und orientierende
Ordnungsbildung miteinander zu verbinden. "
Zur Studie
Im Sommer 2007 befragte nextpractice 150 Personen in mehrstündigen Tiefeninterviews zu ihrer Mediennutzung, ihren Einschätzungen von Gegenwart und Zukunft verschiedener Informationskanäle, zu Medienmarken sowie zu ihren persönlichen Wertemustern. Dabei wurde das IT-gestützte psychologische Verfahren nextexpertizer verwendet, das es erlaubt, auch unbewusste Einstellungen und Bewertungen offen zu legen. Das Unternehmen nextpractice hat in der jüngsten Vergangenheit wiederholt derartige Studien zu aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen wie beispielsweise zum Alkoholkonsum Jugendlicher, zum Eliteverständnis in Deutschland oder zur Bedeutung verschiedener Modelle der Kinderbetreuung durchgeführt.
Quelle: Pressemitteilung nextpractice GmbH