Initiative Nachrichtenaufklärung stellte neue Top-Ten-Liste für 2005 vor
Archivmeldung vom 15.04.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 15.04.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIm Jahr 2005 gab es wieder eine Fülle wichtiger Themen, über die in den Medien unzureichend berichtet wurde. Die Initiative Nachrichtenaufklärung hat über die Top Ten der vernachlässigten Themen des vergangenen Jahres entschieden. Auf Platz 1 der Liste setzte die Jury das Thema “Korruptionsbekämpfung durch die UNO - Deutschland ist nicht dabei”.
Auch der “bedenkliche Einsatz von Wahlmaschinen” in Deutschland wurde
vernachlässigt. Dass in Deutschland zwar verbotene, aber dennoch für den Export
produzierte Gifte über Nahrung und Kleidung reimportiert werden, war in den
Medien ebenfalls kein Thema. Die Jury wählte die Top-10-Themen in diesem Jahr
aus 23 Themen aus, denen 127 Vorschläge zu Grunde lagen.
Die Top Ten im Einzelnen:
1. Korruptionsbekämpfung durch die UNO - Deutschland ist nicht
dabei
Ecuador hat es geschafft, Uganda und Peru auch. Nur Deutschland war
nicht dabei, als die UN-Konvention gegen Korruption am 14. Dezember 2005 in
Kraft trat. Sie verbietet Politikern jegliche Annahme von Präsenten und
Annehmlichkeiten und macht eine schärfere strafrechtliche Verfolgung möglich.
Vorteilsnahme wird bei deutschen Bundestagsabgeordneten bislang nur dann
strafrechtlich verfolgt, wenn der Verkauf einer Stimme bei einer Abstimmung
nachgewiesen werden kann. Nach Ansicht von Korruptionsbekämpfern könnte mit
einer Umsetzung der Konvention der zentrale Schwachpunkt in den deutschen
Anti-Korruptions-Bestimmungen beseitigt werden.
2. Bedenklicher Einsatz von Wahlmaschinen
Namen der Kandidaten
können überklebt, gefälschte Wahlzettel eingefügt oder Speicherkarten
ausgetauscht werden, Belege für die Stimmabgabe fehlen. Nach einer Untersuchung
der Dubliner Universität aus dem Jahr 2004 weisen Wahlmaschinen der Firma Nedap
erhebliche Sicherheitslücken auf. Dennoch setzen deutsche Kommunen zunehmend auf
die elektronische Stimmabgabe mit Hilfe bauähnlicher Geräte. So kamen bei der
Bundestagswahl 2005 allein in Köln 600 Nedap-Wahlmaschinen zum Einsatz. Kritisch
betrachtet wird die Technologie nicht.
3. Der Pestizid-Bumerang: Die verbotenen Gifte kommen
zurück
Pflanzenschutzmittel, die in Deutschland verboten sind, werden
weiterhin ganz legal produziert für den Export. Im außereuropäischen Ausland
gelangen sie auf Obst und Gemüse, das dann wieder importiert werden kann. Das
hochgiftige und krebserregende Pestizid Lindan wurde beispielsweise von
Greenpeace in Karotten gefunden, die aus Algerien stammten und in deutschen
Supermärkten verkauft wurden. Im Jahr 2005 exportierte mindestens ein deutsches
Unternehmen Lindan nach Algerien.
4. Strategie der Abhängigkeit: Irakische Bauern müssen Lizenzgebühren
für Saatgut zahlen
Irakische Bauern drohen in eine Schuldenspirale zu
geraten. Der ehemalige US-Zivilverwalter im Irak, Paul Bremer, hat ein
Patentrecht eingeführt, das sie dazu zwingt, teure Lizenzgebühren für
patentiertes Saatgut zu zahlen. Da sie aufgrund des Krieges kaum noch über
eigenes, traditionelles Saatgut für den Nachbau verfügen, sind sie auf das
patentierte Saatgut internationaler Saatgutkonzerne wie Monsanto oder Bayer
angewiesen. Ein Weg zurück ist kaum mehr möglich. In Afghanistan, Sri Lanka und
Indien drängen die Konzerne den eigenen Nachbau über bilaterale
Freihandelsverträge zurück.
5. Geheimdienste überwachen unkontrolliert die digitale Kommunikation
in Europa
Polizei und Geheimdienste können in der Europäischen Union
jederzeit für präventive Zwecke die digitale Kommunikation abhören und
speichern. Möglich macht dies eine Schnittstelle, die Kommunikationsanbieter auf
eigene Kosten einrichten und betreiben müssen. Allerdings haben sie darüber
keine Kontrollmöglichkeiten, Missbrauch ist möglich. Die
Überwachungsschnittstelle wurde als technische Möglichkeit ohne rechtliche
Grundlage von Geheimdiensten, Strafverfolgern und Telekommunikationsunternehmen
entworfen. Parlamente waren an Planung und Umsetzung nicht beteiligt.
6. Fehler im System: Wie der “Grüne Punkt” ausgehebelt
wird
Totalverweigerer, Schiebereien, Fälschungen: Rund um die
Müllverwertung in Deutschland gibt es etliche fragwürdige Praktiken. Seit 1990
sammelt und trennt das “Duale System Deutschland” (DSD) den Müll. Nach Angaben
des DSD sind aber nur 60 Prozent aller verkauften Verpackungen überhaupt
lizenziert. Weiterer Knackpunkt: Die EU-Kommission hat entschieden, dass das
Unternehmen auf seinen “Grünen Punkt” kein Copyright erheben darf. Seitdem kann
jeder Verpackungshersteller auf seine Produkte das Signet drucken, ohne
Lizenzgebühren zu bezahlen. So entsorgt die Drogeriekette “dm” ihre Verpackungen
selbst und zeichnet diese trotzdem mit dem Symbol aus. Einige Selbstentsorger
nehmen in ihren Filialen nicht genug Abfall zurück, um ihre
Wiederverwertungsquoten zu erfüllen. So kam es in den vergangenen Jahren zu
einem virtuellen Handel mit so genannten Wiegescheinen. Fachleuten und Behörden
ist das bekannt, dennoch geschieht nichts.
7. Deutschland verschläft die Energiewende
Deutschland bezieht
derzeit 84 Prozent seines Primärenergiebedarfs aus fossilen Energieträgern.
Obgleich diese nur noch wenige Jahrzehnte verfügbar sind und die Nachfrage
weltweit steigt, will die Bundesregierung den Anteil der erneuerbaren Energien
bis 2020 auf 10 Prozent des Primärenergiebedarfs steigern - heute sind es 3,6
Prozent. Ein hundertprozentiger Ersatz der fossilen Energieträger ist weder
geplant, noch in Sicht. Um die absehbare Versorgungslücke zu schließen, müssten
wesentlich intensivere Anstrengungen unternommen werden. Zwar wird über neue
Energien und auch über das Ende der fossilen Energien berichtet, nicht jedoch
darüber, dass es keinen adäquaten Ersatz gibt.
8. EU-Chaos beim Digitalen Fahrtenschreiber
Nach
zwanzigjähriger Entwicklung ist er endlich auf dem Weg: Der digitale
Fahrtenschreiber für LKW. Die Geräte sollen die alte Papierscheibe ablösen. Ab
Mai 2006 werden sie in den EU-Ländern für alle Neufahrzeuge über 3,5 Tonnen zur
Pflicht. In Deutschland gilt die Pflicht schon seit August 2005. Dabei hatten
die EU-Gremien die Einführung schon seit 2004 geplant und zweimal verschoben.
Zwar existieren On-Board-Units in ausreichender Zahl, doch wie die Überwachung
funktionieren soll, ist noch immer unklar. Die Folge: Viele übermüdete
LKW-Fahrer manipulieren ihre alten Geräte und gefährden Autofahrer.
9. Schmutzige Kredite
Mit Geldern aus Deutschland zerstören
russische Ölfirmen die Umwelt in Westsibirien. Im Juli 2002 hat die WestLB einen
Kredit in Höhe von 440 Millionen Dollar an die Firma Sibneft vergeben. Da das
Geld an kein bestimmtes Projekt gebunden ist, gelten die von der Weltbank
formulierten Richtlinien für den Schutz der Umwelt nicht. Sibneft lässt die
Pipelines verrotten. Bis zu sieben Prozent des transportierten Öls sickert durch
Leckagen in die Wälder und Gewässer. Verschmutztes Grundwasser fließt in die
Leitungen der Haushalte in den Regionen. Krebs und Blutkrankheiten sind die
Folgen bei Kindern und Erwachsenen.
10. Vom Petro-Dollar zum Petro-Euro: Iran plant neue
Ölbörse
Die für diesen März 2006 geplante iranische Ölbörse (IOB) soll
als Basis den Euro haben und damit den Petro-Dollar ersetzen. Diese Entwicklung
ist nicht nur für alle Öl-exportierenden und -importierenden Länder für
Bedeutung, sondern für fast alle Staaten weltweit. Damit zeichnet sich ein
duales Währungssystem im Welthandel ab, das die Rolle des Euro gegenüber dem
Dollar stärken würde. Es gibt zwar zahlreiche Berichte über den Atomstreit mit
dem Iran, aber nur sehr wenige Berichte, die von der geplanten Ölbörse und ihren
weitreichenden ökonomischen Konsequenzen handeln.
Die Initiative Nachrichtenaufklärung wurde 1997 von Peter Ludes, heute
Professor für Mass Communication an der International University Bremen, ins
Leben gerufen. Sie wird zum großen Teil von Recherche-Seminaren an den
Universitäten Bonn (Kommunikationswissenschaft) und Dortmund (Journalistik)
getragen. Seit dem Wintersemester 2002/2003 liegt die Koordination des Projekts
bei Professor Horst Pöttker am Institut für Journalistik der Universität
Dortmund.
Quelle: Pressemitteilung Initiative Nachrichtenaufklärung