Privatfernsehen: Ideenklau und Müll
Archivmeldung vom 16.03.2005
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Freigeschaltet durch Michael DahlkeEin Flop jagt den nächsten, Ideenklau und Trash auf allen Kanälen – das deutsche Privatfernsehen steckt in der Krise. Marktführer RTL wankt, und eine ganze Branche sucht händeringend nach Konzepten für die TV-Zukunft.
Und dann führt der Meister den Ankermann vor. Tief senkt Harald Schmidt den Kopf, stützt den linken Arm nonchalant auf der Tischplatte auf: „Guten Abend meine sehr verehrten Damen und Herren, mit mir im Studio und für den Sport zuständig ist Manuel Andrack.“ Ungewohnt sanft klingt seine Stimme, „sahnig“ schwelgt Schmidt selbst, „fast cremig“, und übt dann noch den typischen Dackelblick des RTL-Nachrichtensprechers Peter Kloeppel: „So von unten herauf nach oben.“ Je nach Ernsthaftigkeit der verlesenen Nachricht mal mit einem Lächeln verziert, mal mit Gravitas unterlegt – „weil viele Zuschauer speziell im Unterschichtfernsehen unsicher sind: Wie hab’ ich emotional darauf zu reagieren? War det total lieb oder war det fies?“
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Schmidt geht Kloeppel frontal an – und damit eine der Galionsfiguren des Kölner Privatsenders RTL. Und wenn Schmidt zugleich über das „Unterschichtfernsehen“ spottet – bei dem er nebenbei vor kurzem noch ordentlich Geld verdiente –, dann weiß jeder, wer gemeint ist: die Privatsender, von RTL bis NeunLive, von Sat.1 bis RTL2, von SuperRTL bis ProSieben. „Der Privatfernsehmarkt hat sich in die Krise manövriert – inhaltlich und wirtschaftlich“, wettert Dieter Gorny, Mitgründer des Musikkanals Viva. „Ich habe den Eindruck, dass die Ratlosigkeit in der Branche zunimmt, es ist an der Zeit, die Realitäten zu erkennen und rücksichtslos neue Wege einzuschlagen.“ Medienberater und Filmemacher Lutz Hachmeister bringt es auf den Punkt: „2004 war das Krisenjahr des privaten Fernsehens in Deutschland – die große Party ist vorbei.“
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Verkehrte Welt: Georg Kofler, Chef des einst fast bankrotten Bezahlsenders Premiere, tönt inzwischen, nicht Pay-TV sei schwierig, „Free-TV hat heute ein viel schwierigeres Geschäftsmodell.“ Am Mittwoch brachte er Premiere an die Börse. Und auf der anderen Seite des deutschen TV-Spektrums können sich ARD und ZDF ab April voraussichtlich über höhere Gebühren freuen. Zwischen dem wiedererstarkten Bezahlsender und öffentlich-rechtlichen Rivalen – die mit ihren dritten Programmen den Markt fluten – steckt das Privatfernsehen in der Klemme. Premiere lebt von Abogebühren, die Öffentlich-Rechtlichen schwelgen in Zwangsabgaben. Den Privatsendern sind die Einnahmen weggebrochen.
Ihre Antwort auf die Finanzkrise war simpel: sparen. Doch damit sägten die Sender am eigenen Ast – am Programm. RTL büßte zum ersten Mal seit Ende der Neun-zigerjahre die Marktführerschaft ein. Und noch kritischer wird die Lage in fünf Jahren, wenn sich im Zuge der Umstellung des Fernsehempfangs auf Digitaltechnik die Zahl der Sender vervielfacht. Eine Schlacht bahnt sich da an, denn schon heute rangeln dutzende Free-TV-Sender um Zuschauer und Werbung. Experten erwarten künftig deutlich sinkende Zuschauerzahlen auch für die großen Programme.
Mehr als 800 Millionen Werbe-Euro haben die Privatsender in den vergangenen vier Jahren verloren. Seit den boomenden New-Economy-Jahren, die RTL und den anderen Sendern dicke Werbeeinnahmen von 4,8 Milliarden Euro bescherten, ging es rapide bergab. Die wegbrechenden Erlöse legten den Blick frei auf eine Branche im Umbruch. Vorbei sind die goldenen Jahre, als Sender wie RTL Werbekunden abweisen mussten, weil alle Spotplätze belegt waren. Vorbei sind die Zeiten der glamourösen gemeinsamen Telemesse, wo die Sender ihre Programme vorstellten, mehrere tausend Branchenfreunde mit Kochbüchern, Fußbällen, „Titanic“-Videos beglückten und Harald Schmidt die Werbeprominenz begrüßte: „Hallo, liebe Prada-Schlampen.“
Heute herrscht bei den Privatsendern Tristesse, während ARD und ZDF ihre finanzielle Dominanz ausspielen und Sportrechte wie Fußballbundesliga und WM, Alpin-Ski und Tour de France an Land ziehen und einen Star des Privatfernsehens nach dem anderen verpflichten. Sicher: Auch ARD und ZDF werden derzeit hart bedrängt, bekommen Druck aus Brüssel und aus der deutschen Politik, der Gebühren-nachschlag fällt niedriger aus als gewünscht, auch ARD und ZDF eifern in Sachen Niveauverfall nicht selten den Privaten nach. Doch die Privatsender vermögen selbst daraus kein Kapital zu schlagen. ProSiebenSat.1-Media-Vorstand Peter Christmann spricht von „einer strukturellen Krise im Finanzierungssystem, die sich seit 2000 noch verschärft hat“. Und meint damit die Finanzschere, die zu Ungunsten der Privatsender auseinander klafft.
Die suchen nach Orientierung. Sie klagen in Brüssel gegen ARD und ZDF und deren Versuche, auch in den neuen digitalen Medien ihre Claims abzustecken. Gleichzei- a tig suchen sie nach neuen Einnahmequellen, die die auf nimmer Wiedersehen versickerten Werbegelder ersetzen könnten. Ob und wie ihnen das gelingt, wird zum Lackmustest für die Zukunftsfähigkeit des dualen Systems, dem gestörten Nebeneinander von öffentlich-rechtlich und privatwirtschaftlich finanziertem Fernsehen.
Dabei stehen die Privatsender auf dem Papier noch erstaunlich gut da. Die gesamte RTL Group, zu der neben den deutschen Sendern RTL, Vox sowie Anteilen an n-tv, Super RTL und RTL2 insgesamt 31 TV-Sender und 30 Radiostationen in zehn europäischen Ländern zählen, lieferte 2003 vor Steuern mehr als 500 Millionen Euro Gewinn Richtung Gütersloh, wo Mehrheitseigner Bertelsmann seinen Sitz hat. Insgesamt machte der Bertelsmann-Konzern, der in der kommenden Woche die Geschäftszahlen für 2004 bekannt gibt, 1,1 Milliarden Euro Gewinn. Und Guillaume de Posch, Chef der börsennotierten ProSiebenSat.1 Media, freute sich über einen Umsatz von 1,8 Milliarden Euro für 2004 und über einen auf 217,5 Millionen Euro mehr als verdreifachten Vorsteuergewinn.
Vordergründig klingt das klasse. Doch zum einen stecken in den Bilanzen auch Sondereffekte wie Einsparungen im großen Stil, Effekte, die sich nicht wiederholen lassen. So zeigt Sat.1 die Fußballbundesliga nicht mehr, was Millioneneinsparungen beim Sportrechte-Einkauf und den laufenden Produktionskosten bedeutete. Zum anderen schnitten viele der Kürzungen, die der Rendite dienten, geradewegs in den Lebensnerv der Privatsender – das Programm. So sparte RTL hier dem Vernehmen nach allein zwischen 2001 und 2003 rund 55 Millionen Euro.
Das rächt sich heute: RTL musste im vergangenen Jahr die scheinbar in Erbpacht gehaltene Marktführerschaft im Fernsehmarkt abgeben – ausgerechnet an die ARD. Zunächst beruhigte sich das RTL-Management damit, der Verlust der Spitze könne ja wohl nur am Sportjahr 2004 mit Olympia und Fußballeuropameisterschaft gelegen haben, die ARD und ZDF als Rundumdauerberieselung ausstrahlten.
Doch der Negativtrend setzt sich 2004 fort: Im Januar und Februar lag RTL wieder hinter der ARD und dem einst als Kukidentsender verspotteten ZDF.
Die Privatsender sparten, kürzten, knappsten am Personal und am Programm, bis am Ende ein neuer Rekord an Flops, Trash und Wiederholungen stand. Heraus kam eine inhaltliche Bankrotterklärung. In dieser heiklen Phase scheint den Sendern das Händchen fürs Programm abhanden gekommen zu sein. Noch nie häuften sich die Rohrkrepierer so massiv wie in den vergangenen zwölf Monaten. Allein im vergangenen Herbst lag die Flopquote der Neustarts bei 76 Prozent. Und wenn seither weniger Einbrüche zu verzeichnen sind, liegt das vor allem an einem: Nach dieser Flopserie gehen die Sender auf Nummer sicher. Es ist, als habe sich die Fernsehwirtschaft abgekoppelt von den Wünschen ihrer wichtigsten Kunden, der Zuschauer. „Der Zuschauer erkennt, dass Formate geklaut sind oder billig gemacht, und fühlt sich veralbert“, klagt Wolfgang Schuldlos, Geschäftsführer der Mediaagentur ZenithMoremedia, einem der größten deutschen Werbezeitenmakler.
Bei den Privaten lief in den vergangenen Monaten Reality-Trash auf fast allen Kanälen, irgendwo aß immer einer Regenwürmer. Gerade erst startete auf RTL2, einem Sender, der sich schon in der Vergangenheit besonders tief in den Reality-Abgrund begab, die sechste und bisher perfideste Staffel der Menschen-Überwachungssendung „Big Brother“.
Galt bisher ein Zeitlimit – zuletzt mussten die Kandidaten im schlimmsten Fall ein Jahr im TV-Knast verbringen, um das Preisgeld von einer Million Euro zu gewinnen –, heißt es nun: Ende offen. Für den Kölner Medienberater Lutz Hachmeister bringen solche Sendungen die ganze Branche in Misskredit: „Weil Fernsehen als ein laufendes Gesamtprogramm wahrgenommen wird, berühren die Trash-Orgien den Wert des Mediums an sich.“
Den Imageschaden machen sie auch finanziell nicht wieder gut. Denn die Spirale der Extremformate lässt sich nicht beliebig verlängern. Auch bei „Big Brother“ sind die Werbeinseln nicht ausgebucht, lassen sich vermeintliche Schockformate nicht länger durch Werbeerlöse rekapitalisieren. „Die Maximalisierung der Zuschauerquote bei gleichzeitiger Aufgabe inhaltlicher Ansprüche funktioniert nicht mehr“, sagt Gorny.
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Die Trauer über die offenkundige Schwäche des Marktführers hält sich in Grenzen. Die RTL-Konkurrenz in München reibt sich bereits die Hände und setzt voll auf Angriff. Dabei reihten auch Sat.1 und ProSieben einen Flop an den nächsten. Allein im Februar resümierte der Branchendienst „Kress-Report“ die ProSieben-Neueinführungen mit dem vernichtenden Urteil „Flop-Rate: 75 Prozent.“ Dennoch sind schleichende Veränderungen im Gange, Verschiebungen, die in der Summe gefährlich werden für RTL. Einzelne Tage, an denen die Kölner früher prächtig verdienten, habe man „regelrecht zerschossen“, frohlocken ProSieben-Manager. Und nach dem Start der Telenovela „Verliebt in Berlin“, die Sat.1 seit der vergangenen Woche wochentags um 19.15 Uhr gegen den RTL-Dauerbrenner „Explosiv“ ins Quotenrennen schickt, raunt die Branche von „Vorabendrevolution“.
Als ob das nicht genügen würde, kommt bei RTL zur Unsicherheit über die Richtung des Programms noch eine Führungskrise. Nach gerade mal 100 Tagen hat RTL-Boss Gerhard Zeiler, der sich eigentlich auf die Führung der in Luxemburg ansässigen RTL Group konzentrieren wollte, dem als Nachfolger heftig umworbenen Hoffnungsträger Marc Conrad die Tür gewiesen. Conrad sollte die Wende bringen – und scheiterte wohl mit seinen langfristigen Konzepten am kurzatmigen Renditedenken bei RTL. In Interviews sprach Zeiler stattdessen von „Traumwelten“, die der Sender seinem Publikum bieten wolle, aber auch von Orientierung, die RTL schaffen müsse. Doch mittlerweile fragt sich die Branche: Schaffen die das noch? Denn durch die Flopserie und die folgenden Marktanteilsverluste hat sich eine unheimliche Dynamik in Gang gesetzt. Mediaexperte Schuldlos beobachtet einen schlingernden Supertanker „der eindeutig vom Kurs abgekommen ist“.
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Nicht allzu weit entfernt von der RTL-Zentrale, in einem alten Herrensitz namens Burg Schallmauer im Örtchen Hürth bei Köln, sitzt Helmut Thoma, Gründer und ehemaliger Chef des Senders, auf einem Sofa und grantelt. Der Zeiler, mosert Thoma, der sage immer, früher hätte RTL fünf Runden Vorsprung vor der Konkurrenz gehabt, heute seien es halt noch drei. Zeiler vergesse dabei jedoch eines: „Der fährt noch immer auf Reifen, die zehn Jahre alt sind“ und die er, der Thoma, zusammen mit seinem damaligen Programmchef Marc Conrad dem Renner RTL angeschraubt habe.
Jahrelang, sagt Thoma, habe RTL von einem guten Programm gelebt und davon, dass die große Konkurrenz aus München – die ehemaligen Leo-Kirch-Sender ProSieben, Sat.1, Kabel 1 und N24 – so lange unter der Insolvenz des Münchner Medienzampanos gelitten hätten. Nach der Pleite des Kirch-Imperiums folgte der langwierige Verkaufsprozess von Deutschlands größter Fernsehfamilie, den US-Investor Haim Saban mit einer ganzen Armada weiterer Geldgeber für sich entschied. An manchen Tagen, sagt ein Insider im Rückblick auf die Situation vor nicht einmal zwei Jahren, habe man sich gewundert, dass bei ProSieben und Co. überhaupt noch Fernsehen gemacht wurde – „wenn man unter diesen Umständen die Konkurrenz nicht abhängt, dann muss man sich schon sehr dumm anstellen“, relativiert Thoma die RTL-Erfolge.
Stattdessen gewinnen die Konkurrenten in einem ausgezehrten Markt nun wieder an Fahrt. Und das mit Material, das RTL im Quotenhöhenrausch abgelehnt hatte. Dazu gehören Comedy-Reihen wie „Schiller-straße“ und die Sendung „Genial daneben“, die Moderator Hugo Egon Balder RTL wie sauer Bier angeboten hatte. Und ausgerechnet die von Marc Conrad produzierte Schmonzette „Das Zimmermädchen und der Millionär“ brachte dem RTL-Konkurrenten Sat.1 Topquoten – und tiefe Kratzer im Nimbus von RTL.
Da saß also ein Mann in Jeans und blauen Wildlederslippern in einem Hamburger Designhotel und versuchte zu erklären, warum ausgerechnet seine neue Sendung ein Erfolg werden sollte: „Ich habe sicherlich ein besseres Bauchgefühl als viele meiner Konkurrenten und ein Gespür für das richtige Timing eines Themas.“ Das Thema war die Jobsuche, der Mann in den Slippern John de Mol und die Sendung hieß „Hire or fire“.
John de Mol ist Medienmilliardär, seit er vor Jahren die Sendung „Big Brother“ erfand und Anteile an seiner holländischen Fernsehfirma Endemol an den spanischen Telefonkonzern Telefonica verkaufte. De Mol sollte einen Fernsehmacher mimen, der einen Assistenten suchte, Grundgehalt: so um die 300 000 Euro plus Auto und Assistentin – was man so braucht.
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Angeheuert wurde de Mol von ProSieben-Besitzer Haim Saban persönlich. Um mitsamt der Sendung auch gleich wieder gefeuert zu werden. Denn nach nur einmal hinschauen zeigte sich: Die Show zielte völlig am Publikumsgeschmack vorbei. Auch das kurz zuvor gestartete Konkurrenzprodukt „Big Boss“, von RTL mit dem Ex-Fußballmanager Reiner Calmund bestückt, erreichte nicht die Quotenziele. Zu geleckt, zu karikaturhaft wirkten die Managerdarsteller, zu hölzern klangen die platten Sprüche, die der rheinischen Frohnatur Calmund auf den massigen Leib geschrieben wurden.
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„Hire or Fire“ und „Big Boss“ legten einen der zentralen Schwachpunkte der Privatsender bloß. „Es werden in immer größerer Hektik die Kopien von Formatkopien auf den Markt gebracht, bis Macher und a Zuschauer gleichermaßen erschöpft sind“, was nicht nur Medienberater Hachmeister kritisiert. „Das ist ein Rattenrennen. Ein Medium, das sich ausschließlich an schneller Rendite orientiert, wird immer an Spannung und Substanz verlieren.“
Setzte RTL in früheren Jahren Programmtrends, haben sich die Kölner nun mitten ins Konkurrenzgetümmel gestürzt. Experten wie Hachmeister werfen den deutschen Sendern vor, so oft und hemmungslos wie nie zuvor Ideen und Formate voneinander abzukupfern.
Setzte ProSieben auf Schönheitsoperationen und die bizarre OP-Show „The Swan“ und die Serie „Nip/Tuck“, hielt RTL mit seiner eingedeutschten Billigproduktion „Beauty Queen“ dagegen – Pech für beide Sender, dass die Fleischbeschau kaum einen Zuschauer interessierte. Gleichzeitig sandten die Konkurrenten ein verheerendes Signal: Sie werden austauschbar, überall, so der Eindruck, läuft das gleiche Programm.
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Am Ende reagierten nicht allein die Zuschauer sauer, denen angesichts der grassierenden Monokultur der Spaß am Einschalten vergeht. Vergrätzt reagiert auch die Werbekundschaft, die sich nun erstmals lautstark und öffentlich beklagt. „Wo bleibt die Programmvielfalt?“, fragt Margret Buhse, beim Nivea-Konzern Beiersdorf für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig und auch im Vorstand der wichtigen „Organisation Werbungtreibende im Markenverband“; deren Mitglieder sind für den Löwenanteil der Werbegelder verantwortlich. „Wir als Werbungtreibende haben ein großes Problem damit, wenn wir überall nur noch das gleiche Programm sehen.“ Dieser Trend sei auch in diesem Jahr ungebrochen.
Uwe Becker, Media-Direktor beim Konsumgüterkonzern Unilever, sagt: „Gerade vom Marktführer erwarte ich eine vernünftige Produktpflege – wie sie auch in der Markenartikelindustrie betrieben wird.“ ProSieben-Vorstand Christmann hält zwar dagegen: „In der Markenindustrie floppen Jahr für Jahr rund 80 Prozent der neu eingeführten Produkte. Bei den Privatsendern liegt der Schnitt dagegen bei weit unter 50 Prozent.“ Außerdem, so Christmann, seien jüngst viele innovative und qualitativ hochwertige Formate gestartet worden.
Nur scheint sich das bei den Werbekunden noch nicht so recht herumgesprochen zu haben. Das erhöht noch einmal den Druck auf die Sender, sich neu aufzustellen und nach alternativen Erlösen zu fahnden.
ProSiebenSat.1 sucht sein Heil unter anderem darin, vollends die Mehrheit beim Kleinsender NeunLive zu übernehmen, an dem man bereits beteiligt ist. Der veranstaltet mit Erfolg ein Programm, das aus scheinbar simplen Rätseln besteht. NeunLive verdient sein Geld gar nicht mehr mit Werbespots, sondern ausschließlich durch Telefoneinnahmen – in dem Umfeld will eh niemand werben.
Sowohl ProSieben als auch RTL haben angekündigt, mit eigenen digitalen Bezahlsendern an den Start zu gehen. Christmann bestätigt, ProSiebenSat.1 verfüge über genügend Comedys und Serien, um in rund sechs Monaten einen eigenen Bezahlsender auf die Beine stellen zu können.
Wer sich in ordentlicher Position wähnt, schluckt die schlechter gestellte Konkurrenz. Wie eben geschehen, als der US-Riese Viacom, Mutterkonzern des Musiksenders MTV den deutschen Konkurrenten Viva übernahm und der Öffentlichkeit die Konzentration auf dem Musikfernsehmarkt als Zugewinn an Pluralität verkaufte.
Ebenso soll auch der Sportsender DSF, der ähnlich wie NeunLive mittlerweile einen großen Teil seiner Erlöse aus dem Telefongeschäft zieht, auf der Einkaufsliste von Premiere stehen – falls es sich nicht um fantasieanregende Kofler’sche Planspiele handelt.
Geld bekommen möchten die Sender in Zukunft auch von Kabelnetzbetreibern wie Kabel Deutschland und Ish, die allerdings ihrerseits am liebsten doppelt abkassieren würden: über Kabelgebühren vom Zuschauer, und den Einspeiseobolus von den Sendern.
Schließlich hoffen die Privatsender auf Schützenhilfe aus Brüssel. Denn die Europäische Kommission, die in der vergangenen Woche entsprechende blaue Briefe ans Kanzleramt schickte, soll den Privatfunkern bei Zukunftsgeschäften wie beim Fernsehen per Mobiltelefon unter die Arme greifen – indem sie ARD und ZDF diese Entwicklungsmöglichkeiten verbietet.
Doch bei allen Rochaden hinter den Kulissen steht und fällt der Erfolg derSender noch immer mit ihrem wichtigsten Rohstoff, dem Programm. Auch TV-Serien fürs Handy können floppen. Nicht nurEx-RTL-Chef Marc Conrad hat erkannt: „Fernsehen hat keine andere Chance, als wieder bedeutungsvoller zu werden undzu einer gewissen Ernsthaftigkeit zurückzukehren.“ Wenn das nicht klappt, sitztder Zuschauer zur Not immer noch am längeren Hebel: Er kann ja einfach mal abschalten.
PETER STEINKIRCHNER
Quelle: http://www.wiwo.de/pswiwo/fn/ww2/sfn/buildww/id/196/id/100460/fm/0/bt/2/SH/0/depot/0/index.html