Jeder dritte Arzt räumt ein Fehler vertuscht zu haben - 22% lehnen Impfzwang ab
Archivmeldung vom 16.06.2020
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 16.06.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch André OttFast ein Drittel aller Ärzte und Ärztinnen (32 Prozent) vertuschte laut dem aktuellen Medscape Ethik-Report 2020 schon einmal einen Fehler. Die große Mehrheit der Befragten (68 Prozent) zeigt jedoch moralische Größe und steht zu ihren Fehlleistungen im Praxisalltag.
Fast 9 von 10 Medizinern geben an, sich bei ihren Patienten dafür entschuldigt zu haben. Solche moralischen Prinzipien sollten Mediziner grundsätzlich bei ihrer Arbeit leiten. Aber wie weit klaffen Erwartungshaltung und Realität auseinander - vor allem in besonderen Zeiten wie der Corona-Krise?
Mit welchen heiklen Fragen sich Ärzte täglich konfrontiert sehen und wie sie damit umgehen, fasst der aktuelle Medscape Ethik-Report 2020 "Was Ärzte über Sex, Alkohol, Behandlungsfehler, Impfpflicht, Sterbehilfe und COVID-19 denken" zusammen.1 An der zwischen Januar und März 2020 von Medscape Deutschland durchgeführten Online-Befragung beteiligten sich über 1.000 Ärztinnen und Ärzte.
Ärzte in Corona-Zeit: Motivation ist besonders hoch
In Zeiten von COVID-19 rücken die Leistungen von Pflegepersonal und Ärzten in den Vordergrund. Für ihren Einsatz wird ihnen Respekt gezollt und Applaus gespendet. Doch wie steht es tatsächlich um die Motivation der Ärzte? Zumal sie zum Teil nur unbefriedigende Mittel zur Verfügung hatten und ihr Leben "in vorderster Front" riskieren.
Das Ergebnis ist positiv: Jeder zweite Arzt sagt, dass er in der Krise besonders motiviert und froh ist als Arzt zu arbeiten. Die Mehrzahl ist geradezu furchtlos: 77 Prozent der Befragten geben an, keine Angst vor einer Ansteckung zu haben oder nicht zu Hause bleiben zu wollen. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) stellen den Schutz der Gesundheit über die wirtschaftlichen Folgen eines Shutdowns.
Dass während COVID-19 Patienten im Krankenhaus ohne Beistand ihrer Angehörigen oder Geistlicher sterben, wollen viele Ärzte nicht in Kauf nehmen. Man solle, so die Meinung von 67 Prozent, versuchen, einen Weg zu finden, damit sich die Angehörigen verabschieden können. Nur jeder zehnte Umfrage-Teilnehmer meinte, dass das Virus auch in dieser speziellen Situation das Kontaktverbot unumgänglich mache.
Der Umgang mit Todkranken ist für Ärzte nicht ungewöhnlich, bringt sie jedoch mitunter in Gewissenskonflikte. Auf die Frage, ob sie gegenüber ihren todkranken Patienten schlechte Nachrichten zurückhalten, antworten knapp zwei Drittel (66 Prozent) der Ärzte mit "nein". Nur knapp jeder zehnte Arzt würde selektive Informationen bei unheilvoller Perspektive befürworten.
MeToo, Belästigungen und Mobbing: Ärzte schauen nicht weg
Die MeToo-Debatte ab Herbst 2017 erregte weltweit Aufsehen und machte in vielen Lebensbereichen auf das Ausmaß sexueller Übergriffe aufmerksam. Die Ergebnisse des Medscape-Reports zur sexuellen Belästigung in Praxen und Kliniken aus dem vergangenen Jahr zeigen: 15 Prozent der Ärzte und Ärztinnen haben sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz beobachtet, 7 Prozent waren solchen Übergriffen ausgesetzt.2
Hat die Debatte und die daraus resultierte Aufmerksamkeit für sexuell übergriffiges Verhalten "gefühlt" zu einer Verbesserung geführt? Eine leicht positive Tendenz ist zu verzeichnen. Während knapp die Hälfte keinen Unterschied wahrnimmt, meinen 15 Prozent der Ärzte, dass die MeToo-Debatte die Einstellung zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zum Besseren verändert hat.
Wie gehen Ärzte mit Belästigungen allgemeiner Art oder Mobbing um? Über die Hälfte der Befragten (53 Prozent) gibt an, Kollegen grundsätzlich beim Chef oder den entsprechenden Stellen zu melden, sollten sie Belästigungen, Mobbing oder Drangsalierungen beobachten - nur eine kleine Minderheit (10 Prozent) schaut weg. 37 Prozent antworten mit "Kommt darauf an" - machen eine Meldung also von den Umständen abhängig. Interessant: Die Ergebnisse des aktuellen Medscape Ethik-Reports legen nahe, dass Fachärzte sich stärker für eine Aufarbeitung solcher Fälle aussprechen als Hausärzte. Womöglich, weil sie in größeren Praxen oder Kliniken mit etablierten Anlaufstellstellen für Beschwerden arbeiten.
Liebesbeziehungen mit Patienten: Kein kategorisches Nein
Auf die Frage, ob Liebe und/oder Sex mit einem Patienten akzeptabel sei, antworten überraschend nur 44 Prozent der Befragten mit einem klaren "nein". Realität ist, dass romantische Gefühle auch vor Sprechzimmern nicht Halt machen. Jeder Fünfte befürwortet eine Wartezeit von sechs Monaten zwischen dem letzten medizinischen Kontakt und dem Beginn einer Beziehung oder Affäre. Ein Viertel der Ärzte meint, es komme auf die Umstände an.
Nur zehn Prozent finden eine Beziehung mit aktuellen Patienten in Ordnung. Demnach sind 56 Prozent der Befragten offen für eine Beziehung mit Patienten - wenn auch teilweise mit Einschränkungen. Im Ethik Report 2017 zeigten die Ärzte noch mehr Zurückhaltung: Damals erteilten 54 Prozent der Liebe mit Patienten eine klare Absage, nur jeder zwanzigster Arzt fand die Vorstellung in Ordnung.4 In teils emotionalen Kommentaren gaben einige Ärzte an, dass sie mit einer ehemaligen Patientin verheiratet sind.
Impfpflicht: Ambivalente Haltung
Seit März 2020 gilt in Deutschland die Masernimpfpflicht für bestimmte Bevölkerungsgruppen. Dazu gehören Schul- und Kita-Kinder, Lehrer, Bewohner von Flüchtlingsunterkünften sowie medizinisches Personal.3 Wie stehen Ärzte zu diesem politisch brisanten Thema? 87 Prozent der Fachärzte befürworten das Masernschutzgesetz. Unter den Hausärzten sind es mit 72 Prozent etwas weniger. Jeder Fünfte Hausarzt (22 Prozent) meint, der Gesetzgeber solle sich bei dieser Frage nicht einmischen.
Wenn es um die eigene Haut geht, sind Ärzte in der Diskussion um Pflichtimpfungen durchaus ambivalenter. Selbst bei häufigem Patientenkontakt, befürworten erstaunlicherweise nur 41 Prozent der Ärzte eine jährliche Pflichtimpfung gegen Grippe. Der Großteil (47 Prozent) ist sogar dagegen.
Wie hoch die Achtung von Ärzten vor einer individuellen und freien Entscheidung ist, zeigt deren Haltung gegenüber Impfgegnern: In der Befragung sprechen sich 65 Prozent für die Behandlung von Impfgegnern aus. Nur 13 Prozent verneinen die Frage, ob sie Impfgegner behandeln würden. Eine Allgemeinmedizinerin aus München erklärt: "Ich würde versuchen, die Familie von den Vorteilen der Impfungen zu überzeugen, aber ich würde auch ihre Meinung respektieren, wenn ich sie nicht überzeugen kann."
Über den Medscape Ethik-Report 2020
Die nicht repräsentative Online-Umfrage wurde von Januar bis März 2020 durchgeführt. Ausgewertet wurden die Fragebögen von 1.008 Ärzten, darunter 12 Prozent in Weiterbildung. Alle Teilnehmer leben und arbeiten in Deutschland. 41 Prozent der Ärzte sind in Kliniken beschäftigt, 40 Prozent arbeiten im Niedergelassenen Bereich. Ein kleiner Teil arbeitet in ambulanten Behandlungszentren, Privatkliniken und Unternehmen.1
Quelle: Medscape Deutschland (ots)