Trauer, die krank macht
Archivmeldung vom 26.06.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNach dem Tod des Partners erkranken die Witwe oder der Witwer häufig, manche sterben sogar. Einige Hinterbliebene bleiben jedoch von diesem so genannten „widow hood Effekt“ verschont. Ein Wissenschaftlerteam hat nun nachgewiesen, dass der Verteilung des Phänomens eine Genveränderung bei den Trauernden zu Grunde liegen könnte.
Erstautor der im Fachjournal „Brain, Behavior and Immunity“ veröffentlichten Studie ist Christian Schultze-Florey, Medizinstudent der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Zur Forschergruppe gehören Professor Dr. Harald Gündel, ehemals Leiter der MHH-Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie und nun Leiter der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm, sowie Forscher der University of California, Los Angeles, und der University of Arizona.
Psychischer Stress, wie zum Beispiel das unvorbereitete Halten einer Rede vor großem Publikum, führt kurzzeitig zu erhöhten Markern im Blut, die Entzündungen im Körper anzeigen. Hält der Stress an, wie zum Beispiel bei Menschen, die einen schwerkranken Familienangehörigen pflegen, liegen diese Entzündungsmarker häufig dauerhaft erhöht vor. Dies kann in der Folge zu Arteriosklerose, Herzinfarkt oder Schlaganfall führen. Das Wissenschaftlerteam konnte diese Reaktion des Immunsystems auf Stress nun erstmals auch für Trauer zeigen.
Sie führten eine Studie am Cousins Center für Psychoneuroimmunologie in Los Angeles durch, an der 64 Menschen teilnahmen, die durchschnittlich 73 Jahre alt waren. 36 von ihnen hatten ihren Partner in den vergangenen zwei Jahren durch den Tod verloren. Bei ihnen konnten die Forscher vermehrt IL-6 im Blut nachweisen – einen Stoff, der Entzündungen fördert. Doch in der genauen Analyse sahen sie, dass nur jeder zweite Trauernde diese Erhöhung des Entzündungswertes hatte. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass eine Veränderung des Gens IL-6 dies verursachte. „Die Genvariante im IL-6 Gen führt dazu, dass das Gen trotz Trauerstress nicht vermehrt abgelesen werden kann“, erklärt Schultze-Florey. Die Trauernden ohne die schützende Genvariante zeigten hingegen deutlich erhöhte Entzündungswerte. Bei diesen Menschen sieht Schultze-Florey erhöhten Handlungsbedarf: „Insbesondere bei Trauernden mit einem Genotyp, der nicht vor den Folgen des Trauerstress auf das Immunsystem schützt, sollte das kardiovaskuläre Risiko regelmäßig kontrolliert werden. Für den Erhalt der Gesundheit sind Maßnahmen denkbar, die Trauerstress reduzieren – zum Beispiel die Teilnahme an Selbsthilfegruppen zur Trauerverarbeitung oder bei Bedarf auch die Betreuung durch Seelsorger, Psychologen oder Psychotherapeuten“, fasst Schultze-Florey zusammen.
Folgender Link führt zur Veröffentlichung: http://dx.doi.org/10.1016/j.bbi.2012.06.009
Quelle: Medizinische Hochschule Hannover (idw)