Staatsanwaltschaften erheben nach Millionenbetrug mit Krebs-Medikamenten Anklage
Archivmeldung vom 15.04.2010
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtMehrere Staatsanwaltschaften ermitteln gegen bundesweit rund 60 Apotheker wegen Abrechnungsbetrugs mit Krebsmedikamenten. Das ergaben Recherchen des Informationsprogramms NDR Info. Die Apotheker haben sich laut Anklage über Pharma-Großhändler im Ausland die Bestandteile für sogenannte Zytostatika beschafft, Zellwachstums-Hemmer für Krebspatienten. Die Medikamente sind dort wesentlich günstiger, aber in Deutschland nicht verkehrsfähig. Apotheker bereiten die Rezepturen individuell für Krebs-Patienten zu, in diesen Fällen mit ausländischen Substanzen.
Weder Ärzte noch Patienten konnten so nachvollziehen, woher das Medikament stammte. Bei den Krankenkassen haben die Apotheker laut Anklage den in Deutschland üblichen Satz abgerechnet und so einen erheblich höheren Gewinn erzielt. Die Behörden in Mannheim und im niedersächsischen Verden haben bereits Anklage erhoben. Verfahren gibt es unter anderem gegen Apotheker in Augsburg, Braunschweig, Celle, Kiel, Mainz, Münster und Wuppertal. Teilweise steht auch hier die Anklage kurz bevor. In Oldenburg und Hamburg gab es bereits Geldstrafen.
Aufgeflogen war die Masche, weil einem Pharma-Großhändler ein Krebs-Mittel aus dem Ausland zu auffällig günstigen Konditionen angeboten wurde. Bei der Überprüfung der Substanzen stellte sich heraus, dass das über die Schweiz und Dubai gelieferte Präparat wirkungslos war. Der Pharma-Großhändler benachrichtigte daraufhin die Krankenkassen, die in der Folge Nachforschungen anstellten.
Allein die AOK Niedersachsen beziffert den Schaden nach Angaben von Sprecher Klaus Altmann auf über zwei Millionen Euro. Nach seinen Schätzungen könnte das Gesamt-Minus für alle Kassen im hohen zweistelligen Millionenbereich liegen. Auch die Techniker Krankenkasse bestätigte NDR Info entsprechende Erkenntnisse. Die Ersatzkassen rechnen mit einer Schadenssumme von mindestens zehn Millionen Euro. Viel schwerer als der finanzielle Aspekt wiege allerdings der Vertrauensverlust bei den Patienten, so TK-Sprecher Hermann Bärenfänger. Viele Krebserkrankte machten sich Sorgen, möglicherweise wirkungslose Medikamente bekommen zu haben.
Der Pharma-Experte Gerd Glaeske bezeichnete das Vorgehen der betroffenen Apotheker als kriminellWenn diese kriminelle Energie auch noch zu Lasten der Gesundheit einzelner Menschen gehe, die wirkungslose Medikamente erhalten hätten, sei das absolut inakzeptabel und müsse strafrechtlich verfolgt werden. Seiner Meinung nach handelt es sich bei dem Fall offenbar nur um die Spitze des Eisbergs. "Wir reden über ein Ausmaß, das wir wahrscheinlich gar nicht richtig benennen können", so Glaeske. Nach seinen Angaben werden jährlich Zytostatika-Rezepturen im Wert von mehr als eine Milliarde Euro bei den Krankenkassen abgerechnet. Bundesweit haben etwa 300 Apotheken eine Zulassung für die Zytostatika-Zubereitung.
Quelle: NDR Norddeutscher Rundfunk