Deutsche Forscher gegen Apgar-Test
Archivmeldung vom 11.06.2015
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEs ist eine Art Steckbrief, den jedes Baby nach der Geburt in sein gelbes U-Heft geklebt bekommt: Gewicht, Größe, Kopfumfang. Und seit 60 Jahren auch die Apgar-Werte für die Atmung, den Herzschlag, die Hautfarbe, den Muskeltonus und die Reflexe. Aber jetzt regt sich Widerstand gegen den Test, berichtet die Zeitschrift ELTERN in ihrer aktuellen Ausgabe.
In der heutigen Form habe der Apgar keinen großen Wert mehr, meint Prof. Mario Rüdiger vom Uni-Klinikum Carl Gustav Carus in Dresden: "Wir haben in der Vergangenheit versäumt, den Test an die modernen Bedingungen anzupassen." Rüdiger hat deshalb gemeinsam mit seinen Kollegen ein neues Wertesystem entwickelt, das vor allem auf die steigende Zahl von Frühgeborenen Rücksicht nimmt - denn gerade die fallen beim alten Apgar-Test durchs Raster.
Der Neugeborenenmediziner plädiert dafür, die alte Zehn-Punkte-Skala um eine zweite, sieben Punkte umfassende Skala zu erweitern. Sie deckt die medizinischen Hilfen (zum Beispiel Sauerstoffgabe oder Herzdruckmassage) ab, die ein Baby gleich nach der Geburt bekommt. Die klassischen Apgar-Werte sollen dann den Zustand während dieser Interventionen beschreiben. Prof. Rüdiger: "So kann auch ein extremes Frühchen, das reanimiert wird, die volle Punktzahl erhalten." Insgesamt könne man den Zustand eines Babys sehr viel differenzierter beschreiben, außerdem würden die Apgar-Werte verschiedener Kinder wieder vergleichbar.
In Portugal und Polen arbeiten die Geburtskliniken bereits nach dem in Dresden entwickelten System. In Deutschland hat es der neue Apgar-Test schwer, viele Kinikchefs wollen lieber beim alten bleiben. Mario Rüdiger konnte jetzt immerhin einen Debatten-Beitrag im renommierten Medizin-Journal "Lancet" veröffentlichen. Er ist zuversichtlich, dass sich seine Idee durchsetzen wird.
Quelle: Gruner+Jahr, ELTERN (ots)