Gesundheitsreform belohnt Therapie statt Vorsorge
Archivmeldung vom 29.08.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAb 1. Januar 2009 tritt mit dem Gesundheitsfonds ein Kernstück der Gesundheitsreform der großen Koalition in Kraft. Aus diesem "Geldtopf", der sich u. a. durch die Versichertenbeiträge speist, wird allen gesetzlichen Krankenkassen ein pauschaler Betrag je Versichertem gezahlt.
Zusätzlich erhalten Kassen Zu- und Abschläge aus dem so genannten Risikostrukturausgleich (RSA), der zukünftig neben Alter und Geschlecht der Versicherten auch deren Morbidität, das heißt das Vorliegen von einer oder mehreren Krankheiten, berücksichtigt. Welche Krankheiten das sind, definiert ein Katalog, der aber nicht - wie ursprünglich von der Politik verein¬bart - bis zu 80 Krankheiten, sondern nun fast 3.800 Einzeldiagnosen umfasst.
Vereinfacht bedeutet das: Je mehr Versicherte von der Diagnose einer der Erkrankungen betroffen sind, desto mehr Geld erhält die Krankenkasse über den Morbiditätsbezogenen RSA. "In Zukunft gibt es also keinen Wettbewerb mehr um möglichst gesunde Versicherte, sondern um chronisch Kranke, die wenig kosten", kommentiert Heinrich Mager, Sprecher der BKK Mittelstandsoffensive, diese neue Regelung. Vorbeugung wird nach den Plänen der Bundesregierung nicht mehr belohnt. "Stellen Sie sich einen 50-Jährigen vor, der aufgrund seines deutlichen Übergewichts stark gefährdet ist, an Bluthochdruck oder Diabetes mellitus Typ II zu erkranken", führt Mager weiter aus. "Abnehmen, auf Rauchen verzichten, weniger Alkohol trinken, mehr bewegen - so könnte er sein Risiko minimieren bzw. eine mögliche Erkrankung vermeiden". Aber Diabetes Typ II und Bluthochdruck stehen auch im Katalog, was für die Krankenkasse bedeutet, dass sie zukünftig für diesen Versicherten mehr Geld erhält, wenn er erkrankt. In sinnvolle präventive Maßnahmen zu investieren, wäre demnach purer Idealismus. Für die in der BKK Mittelstandsoffensive organisierten rund 70 kleinen und mittelständischen Betriebskrankenkassen (BKK) setzt der Morbiditätsbezogene RSA damit völlig falsche Anreize. Vorbeugung (Prävention) spielte für die BKK bislang eine große Rolle: Von den 2006 insgesamt für Prävention ausgegebenen 232 Millionen Euro entfielen 23,6 Prozent auf die BKK, die einen Marktanteil von 20 Prozent haben. Pro Versichertem gaben die BKK 3,82 Euro für Prävention aus und damit mehr als das gesetzlich vorgegebene Soll von 2,74 Euro. Prävention umfasst dabei die betriebliche Gesundheitsförderung, den individuellen Ansatz (Ernährung, Entspannung, Bewegung, Stressabbau etc.) sowie Lebenswelten (Schule, Kindertagesstätten, soziale Einrichtungen u. ä.).
Nach Auffassung der BKK Mittelstandsoffensive wird mit dem Morbiditätsbezogenen RSA ein bürokratisches Monster geschaffen, das durch die zukünftig wesentlich umfangreichere Erfassung von Daten pro Versichertem und deren Auswertung die Verwaltungskosten in die Höhe schnellen lässt. Auch wird das System anfälliger für Manipulationen. Mager fordert daher, den bisherigen Risikostrukturausgleich mit Ausrichtung an Einkommen, Alter und Geschlecht der Versicherten beizubehalten. Weniger Ausgleich bringe mehr Preiswettbewerb, der wiederum zur konsequenten Ausschöpfung der Wirtschaftlichkeitsreserven zwinge.
Quelle: BKK Mittelstandsoffensive