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Graue Substanz bei Multipler Sklerose in Gefahr

Archivmeldung vom 30.04.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 30.04.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Bei Autoimmunerkrankungen wird körpereigenes Material vom Immunsystem ebenso aggressiv attackiert wie ein Krankheitserreger. Ein Beispiel dafür ist die Multiple Sklerose, kurz MS, eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen in der Altersgruppe der 20- bis 30-Jährigen. Die Erkrankung kann zu schweren Schäden bei den Patienten führen, weil die Körperabwehr das zentrale Nervensystem angreift.

Lange galt das Myelin als wichtigster Angriffspunkt der fehlgeleiteten Immunreaktion. Diese fettreiche weiße Schutzschicht aus spezialisierten Zellen umhüllt die langen Ausläufer von Neuronen. Schäden zeigen sich im Zentralnervensystem von MS-Patienten aber auch in der sogenannten grauen Substanz, die Nervenzellkörper enthält. Die Entwicklung der Behinderung der Patienten hängt wesentlich von der Schädigung dieser grauen Substanz ab. Ein internationales Team unter der Leitung des LMU-Mediziners Professor Edgar Meinl konnte nun eine mögliche Verbindung nachweisen: Das Protein Contactin-2 wird sowohl in der Myelinschicht als auch von den Nervenzellen in der grauen Substanz produziert - und von fehlgeleiteten Immunfaktoren attackiert. "Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass diese Prozesse auch bei MS-Patienten eine Rolle spielen", sagt Meinl. "Möglicherweise sind Proteine, die gleichzeitig im Myelin und in der grauen Substanz vorkommen, sogar die entscheidenden Angriffspunkte." (PNAS Early Edition, 29. April 2009)

Die Multiple Sklerose verläuft meist in Schüben, wobei Nervenfasern durch Attacken bestimmter Immunzellen, sogenannte T-Lymphozyten, sukzessive und irreversibel zerstört werden. Nervenfasern, die Axone, sind von Myelin umgeben. Diese Schutzschicht besteht aus einzelnen Zellen, die sich um lange Fortsätze der Neuronen wickeln, um diese zu isolieren und die Signalweiterleitung entlang der Nervenzellen zu ermöglichen. Letztlich kommt es bei MS zuerst zu einem unwiederbringlichen Verlust von Myelin und dann zu einem Untergang der betroffenen Neuronen.

"Besonders die irreversible Zerstörung der Axone ist die Ursache für bleibende Behinderungen der Patienten", erklärt Professor Edgar Meinl vom Institut für Klinische Neuroimmunologie am Klinikum der LMU und dem Max-Planck-Institut für Neurobiologie. Nach und nach zeigen sich ausgedehnte Schädigungen in Gehirn und Rückenmark. Je nachdem, wo und in welchem Ausmaß diese Läsionen vorliegen, können verschiedene Symptome auftreten. Sehverlust und Sprachschwierigkeiten gehören dazu, aber auch Zittern, Taubheitsgefühl oder eine Einschränkung der Blasenfunktion sowie der Mobilität.

Wie erst seit kurzem bekannt ist, wird schon frühzeitig neben dem Myelin auch die graue Substanz durch das Immunsystem attackiert. "Diese ausgedehnten Schäden tragen zum Fortschritt der Symptome bei", sagt Meinl. "Bislang aber ist unklar, welche Zielstrukturen die Immunantwort gegen die graue Substanz steuern." Deshalb untersuchten die Forscher in groß angelegten Tests, an welche Proteine aus menschlichem Gehirngewebe die Antikörper - die als Immunfaktoren fremde Strukturen erkennen sollen - von MS-Patienten andocken.

Dabei identifizierten sie Contactin-2 als neues Autoantigen, also als körpereigene molekulare Struktur, die eine Immunreaktion provoziert. Im Gehirn und im Rückenmark findet sich dieses Protein sowohl im Myelin als auch in den Neuronen selbst - und damit in der grauen Substanz. "Contactin-2 löst eine Immunantwort aus, bei der sich T-Zellen und auch Antikörper gegen das Molekül richten", berichtet Meinl. "Die Abwehrreaktion ähnelt in mancher Hinsicht denjenigen, die bei Erreger-bedingten Entzündungen auftreten."

Im Tiermodell reagierten autoreaktive T-Zellen auf TAG-1, das dem menschlichen Contactin-2 entsprechende Protein. Sie lösten eine Entzündung im Gehirn aus und zwar vorwiegend in der grauen Substanz. Zudem öffneten diese Immunzellen die Blut-Hirn-Schranke, eine für die meisten Moleküle und Zellen undurchdringliche Barriere. "Ohne dieses Hindernis konnten die Antikörper in großer Zahl in das Gehirn eindringen, wo sie schwere Schäden an der grauen Substanz verursachten", sagt Meinl. "Nun ist zu klären, ob diese Mechanismen auch bei menschlichen MS-Patienten auftreten und welche Rolle Antigene spielen, die im Myelin und in den Neuronen vorkommen." (suwe)

Quelle: Informationsdienst Wissenschaft e.V.

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