Stress kann Einfühlungsvermögen steigern
Archivmeldung vom 11.04.2017
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtAkuter psychosozialer Stress führt zu verbessertem Einfühlungsvermögen und verstärkt prosoziales Verhalten. Ein internationales Forschungsteam um Claus Lamm von der Universität Wien hat die Auswirkungen von Stress auf neuronale Mechanismen untersucht und den Zusammenhang von Empathie und prosozialen Handlungsweisen in einem neuen Experiment überprüft. Die Studie erscheint aktuell in der Fachzeitschrift "Social Cognitive and Affective Neuroscience".
Stress ist ein überlebensnotwendiger psychobiologischer Mechanismus. Er mobilisiert den Organismus, damit dieser belastende Situationen bewältigen kann. Bisher nahm man an, dass Stress der Auslöser sogenannter Kampf- oder Fluchtreaktionen ist. Diese Theorie wurde jedoch unlängst durch Befunde aus Verhaltensstudien wiederholt in Frage gestellt. Demnach zeigen Menschen unter Stress verstärkt prosoziales Verhalten. Claus Lamm von der Universität Wien und sein Team haben nun in einer Studie untersucht, welche neuronalen Prozesse für dieses Verhalten verantwortlich sind.
In einem Experiment wurden Versuchsteilnehmer akutem Stress ausgesetzt, während sie sich in andere Personen einfühlen sollten. Dabei wurde ihre Gehirnaktivität mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) gemessen. Das ForscherInnenteam konzentrierte sich speziell darauf, wie sich neuronale Aktivität im sogenannten "Empathienetzwerk" während einer Stresssituation verändert.
Insgesamt 80 (aus methodischen Gründen ausschließlich männliche) Versuchsteilnehmer sollten Empathie zeigen, während sie anspruchsvolle Aufgaben unter Zeitdruck lösten und dabei laufend negatives Feedback auf ihre Leistung bekamen. Die psychische Belastung konnten die WissenschafterInnen über den Anstieg des Stresshormons Cortisol messen. Im Anschluss daran wurden Fotografien von schmerzhaften medizinischen Eingriffen an der Hand gezeigt, und die Versuchsteilnehmer wurden darum gebeten, sich den Schmerz der abgebildeten Personen intensiv vorzustellen. Teilweise wude zusätzlich darüber informiert, dass die Hand des Patienten während dem gezeigten Eingriff betäubt gewesen war. Damit sollte die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme und Emotionsregulation gemessen werden – denn die Versuchsteilnehmer waren nun gezwungen, deren eigene, unmittelbare aversive Reaktion auf das Bild von den tatsächlichen Gefühlen der Person zu unterscheiden. Im Anschluss erhoben die ForscherInnen mit Hilfe eines verhaltensökonomischen Spiels prosoziales Verhalten. Dabei konnten die Versuchsteilnehmer einen frei zu wählenden Geldbetrag an eine zweite, diesen unbekannten Person abgeben.
Die Ergebnisse zeigten, dass das neuronale Empathienetzwerk bei Personen unter Stress stärker auf die Bilder von schmerzhaften Eingriffen reagierte. Allerdings wurde bei den gestressten Versuchsteilnehmern auch dann eine stärkere neuronale Antwort festgestellt wenn sie wussten, dass der Eingriff schmerzfrei war. Dies spricht daher für höhere Empathie, gleichzeitig aber geringere Perspektivenübernahme unter Stress. Zudem hing die neuronale Aktivierung damit zusammen, wieviel Geld ein Versuchsteilnehmer prosozial abgegeben hatte. Je stärker das Gehirn also auf den Schmerz der Person reagierte, desto mehr Geld wurde von den Versuchsteilnehmern prosozial abgegeben.
"Die Messung der Gehirnaktivität zeigt uns, dass gestresste Versuchsteilnehmer eine stärkere emotionale Antwort auf den Schmerz der abgebildeten Person zeigen. Gleichzeitig ignorieren diese aber komplexere Informationen über deren tatsächlichen Zustand", erklärt der Leiter der Studie Claus Lamm: "Unsere Ergebnisse sprechen also dafür, dass Menschen unter Stress mehr Empathie zeigen können und eher geneigt sind, anderen zu helfen. Allerdings kann diese Hilfe auch unangebracht oder unzweckmäßig sein, etwa wenn der erste Eindruck nicht der tatsächlichen Emotion der anderen Person entspricht - zum Beispiel wenn jemand vor Freude weint. Stress kann in sozialen Situationen somit, abhängig vom Kontext und der Situation, förderlich oder hinderlich sein."
Quelle: Universität Wien (idw)