(Nur) jede 7. Infektion auf Intensivstationen entsteht durch mangelnde Hygiene
Archivmeldung vom 21.11.2005
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWenn sich Patienten auf der Intensivstation eine Infektion zuziehen, liegt das seltener als gedacht an Hygienefehlern der Ärzte und des Pflegepersonals. Zu diesem Schluss kommen Wissenschaftler um den Krankenhaushygieniker Professor Henning Rüden von der Berliner Charité nach Auswertung einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Studie.
In
Zusammenarbeit mit fünf Intensivstationen der Charité hatten die
Forscher den Krankheitsverlauf von fast 1.900 Patienten verfolgt, die
länger als zwei Tage auf einer der Stationen verbringen mussten.
85 Prozent der Infektionen unvermeidbar
Bei etwa 23 Prozent der Patienten kam es zu einer
Infektionskrankheit, meistens zu Lungenentzündungen oder
Harnwegsinfektionen. "Das entspricht ungefähr den Ergebnissen anderer
Untersuchungen", so Projektleiter Rüden. Knapp 15 Prozent, also etwa
jede siebte Infektion, war darauf zurückzuführen, dass
Krankheitskeime von einem Patienten zum anderen verschleppt wurden.
Rüden: "Das konnten wir daran erkennen, dass bei den Betroffenen
exakt dieselben Erreger vorlagen, die wir bei anderen Patienten auf
derselben Station fanden. Wir haben dazu mit molekularbiologischen
Methoden den genetischen Fingerabdruck der Keime analysiert."
Schlussfolgerung der Wissenschaftler: Diese 15 Prozent der
Infektionen haben wahrscheinlich Ärzte und Pfleger bei ihrer Arbeit
von Patient zu Patient getragen. Die Ansteckung hätte durch strengere
Hygiene verhindert werden können. Und was ist mit den übrigen 85
Prozent? "Wenn die Keime nicht von außen kommen, muss es sich um so
genannte endogene Infektionen handeln", antwortet Rüden. Das heißt,
Bakterien, die den Körper besiedeln, aber bei Gesunden keinen Schaden
anrichten, breiten sich plötzlich aus und verursachen Krankheiten.
Schuld ist der geschwächte Zustand, in dem sich die meisten Patienten
auf Intensivstationen befinden. Rüden: "Solche Infektionen wird man
kaum umgehen können, selbst durch beste Hygiene nicht."
Jeder neue Schlauch birgt ein Risiko
85 Prozent der Infektionen unvermeidbar - ein unbefriedigender
Zustand. Doch die Studienergebnisse haben auch einen positiven
Aspekt. Bisher waren Infektionsforscher nämlich davon ausgegangen,
dass der Anteil der von Patient zu Patient verschleppten Infektionen
nicht bei 15 Prozent liegt wie in der aktuellen Studie, sondern etwa
doppelt so hoch. Um die Hygiene auf den Intensivstationen scheint es
also besser zu stehen als gedacht. "Aber natürlich sind auch 15
Prozent noch zu viel", schränkt Rüden ein. Um die Zahl der
Infektionen weiter zu reduzieren, sollten Hygienevorschriften noch
konsequenter befolgt werden. Ärzte und Pfleger müssen sich nach jeder
Tätigkeit am Patienten die Hände desinfizieren und auf einen sterilen
Umgang mit Urin- oder Venenkathetern und Infusionssystemen achten.
Rüden: "Jeder neue Katheter und jeder neue Schlauch zur Beatmung
birgt das Risiko, dass Keime in den Körper gelangen. Deshalb gilt
heute auch die Empfehlung, Katheter eher selten zu wechseln. Früher
war das genau umgekehrt - die Systeme sollten alle paar Tage
ausgetauscht werden." Die Studienergebnisse zeigen außerdem, dass
Einzelzimmer die Ansteckungsgefahr verringern können: Die wenigsten
Erregerübertragungen von Patient zu Patient gab es auf einer Station,
die jedem Patienten ein eigenes Zimmer zur Verfügung stellte.
Quelle: Pressemitteilung Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)