Ein Kanal von unerwarteter Bedeutung
Archivmeldung vom 11.08.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Arbeitsgruppen von Prof. Dr. Susana Andrade und Prof. Dr. Oliver Einsle, Institut für Organische Chemie und Biochemie und Mitglieder des Exzellenzcluster BIOSS, des Zentrums für Biologische Signalstudien der Universität Freiburg, haben erstmals präzise Daten über die Funktion eines Transportproteins für Formiat erhalten - einem wichtigen Stoffwechselprodukt in Bakterien. Die Erkenntnisse können dabei helfen, neue antibiotische Wirkstoffe zu entwickeln, wie das Team im Fachmagazin „PNAS“ berichtet.
Die mikrobielle Darmflora von Säugetieren setzt sich aus verschiedenen Mikroorganismen und Bakterienarten zusammen. Der menschliche Darm beherbergt einige hundert Gramm von Mikroorganismen, die insbesondere bei der Verarbeitung aufgenommener Nahrung essentiell sind. In einer Umgebung, die reich an Nährstoffen und Kohlenhydraten, aber arm an Sauerstoff ist, haben viele Bakterienarten eine besondere Form des Stoffwechsels entwickelt: die gemischte Säuregärung. Sie verarbeiten dabei Zucker, der über die Nahrung in den Darm gelangt, zu organischen Säuren wie Ameisensäue, Essigsäure und Milchsäure, die ausgeschieden werden. Die Bakterien gewinnen dadurch Energie, säuern ihre Umgebung aber deutlich an. Das nutzt nicht nur der Versorgung von guten Darmbakterien, sondern auch den pathogenen, also krankheitserregenden, Arten wie Cholerabakterien und Salmonellen. Im Körper des Menschen fehlt die gemischte Säuregärung. Deshalb bieten die molekularen Bestandteile dieses Prozesses bei Bakterien eine Grundlage, um neue antibiotische Wirkstoffe gegen die pathogenen Arten zu entwickeln.
Formiat ist eine zentrale Proteinkomponente in der gemischten Säuregärung. Darmbakterien besitzen mit dem Formiatkanal FocA ein spezielles Transportprotein, welches Formiat, das negativ geladene Ion der Ameisensäure, über die Zellmembran der Bakterien transportiert. Um mehr über die Funktion von FocA zu erfahren, baute Andrade dieses Protein in eine künstliche biologische Membran ein, an der die elektrischen Ströme von Ionen gemessen werden, die durch den Formiatkanal fließen. Neben präzisen Daten über das Transportverhalten von FocA konnte das Team genaue Informationen über den Schließmechanismus des Kanals erhalten: Bei zu niedrigem pH-Wert der Umgebung verhindert er, dass sich Bakterien durch weitere Ausfuhr von Säuren selbst schaden. Zudem kamen die Freiburger Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass FocA noch mehr verschiedene Anionen transportieren kann: die Ionen der Essigsäure, Milchsäure und Brenztraubensäure – exakt die Produkte der gemischten Säuregärung. Das Verhalten des Kanals für die jeweiligen Verbindungen entspricht den Mengenverhältnissen, in denen diese beim Abbau von Zucker gebildet werden. Der Kanal FocA hat damit für diesen Prozess eine weitaus zentralere Bedeutung als bislang angenommen wurde. Das dürfte ihn zu einer idealen Grundlage möglicher therapeutischer Maßnahmen bei Erkrankungen des menschlichen Darmtrakts machen.
Quelle: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau (idw)