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TK-Studie: Kassen stiften trotz gesetzlichen Beeinflussungsverbots Ärzte zu schwerwiegenden Krankheitsdiagnosen an

Archivmeldung vom 28.10.2017

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 28.10.2017 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Korruption: Nur damit rein Zufällig genau das passiert was ich mir wünsche... (Symbolbild)
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Bild: Eigenes Werk /OTT

Trotz des gesetzlichen Beeinflussungsverbotes versuchen Krankenkassen aus Geldgründen immer wieder, Ärzte zu schwerwiegenden Krankheitsdiagnosen für ihre Patienten zu bewegen. Seit Inkrafttreten des Beeinflussungsverbots im April 2017 hat fast jeder fünfte Mediziner (18,2 Prozent) diese Erfahrung gemacht.

Dies geht aus einer noch unveröffentlichten, von der Techniker Krankenkasse in Auftrag gegebenen Studie unter 1000 Praxis-Medizinern hervor, die der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" in Auszügen vorliegt. Je kritischer das Krankheitsbild ist, desto mehr Geld erhalten die Kassen aus dem Topf der Krankenkassenbeiträge. Mit Blick auf frühere Einflussnahme noch vor Inkrafttreten des Gesetzes sagte der Chef Techniker-Kasse, Jens Baas, der "Rheinischen Post": "Zu meiner großen Überraschung geben 82 Prozent der Ärzte an, dass sie schon einmal bei der Kodierung von Krankenkassen beeinflusst wurden." Befragt wurden von Ende August bis zum 20. Oktober Allgemeinmediziner, praktische Ärzte und Internisten ohne Schwerpunkt durch "DocCheck Medical Services".

"Die häufigsten Einflussnahmen der Krankenkassen auf die Ärzte erfolgt bei jenen Krankheiten, bei denen es Interpretationsspielräume gibt und wo bestimmte Kodierungen den Kassen Geld bringen", sagte Baas. In der Umfrage sollten die Ärzte auch angeben, bei welchen Krankheiten die Kassen sie beeinflussen wollen. So erlebten schon 63 Prozent der Ärzte eine Einflussnahme beim Kreislaufsystem (zum Beispiel Bluthochdruck), 59 Prozent bei Stoffwechselkrankheiten, wozu Diabetes zählt, 42 Prozent beim Atmungssystem, wobei es unter anderem um Asthma geht, und jeweils ein Drittel bei chronischen Schmerzen und psychischen Erkrankungen. Baas machte auch auf die Folgen für Patienten aufmerksam: "Noch immer setzen die Kassen viel Energie und Geld ein, um Kodierungen zu erhalten, die ihnen hohe Geldzuweisungen einbringen", sagte Baas.

Dafür seien die Versicherten-Gelder aber nicht da. Die Einflussnahme der Kassen könne dazu führen, "dass für Patienten Krankheiten dokumentiert werden, an denen sie nicht leiden". Baas warnt vor einem existenziellen Problem: "Wenn jemand auf dem Papier die Diagnose Depression erhält, obwohl er nur eine depressive Verstimmung hat und dann beim Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung auch keine Depression angibt, kann das im Falle des Falles zum Verlust des Versicherungsschutzes führen." Der TK-Chef betonte, er lege seine Hand dafür ins Feuer, dass seine Kasse nichts Illegales tue und dass man niemanden dazu anleite, Patienten auf dem Papier kränker zu machen, als sie seien.

Zum Hintergrund der komplette Text:

Immer wieder versuchen Krankenkassen, auf die Diagnosen von Ärzten Einfluss zu nehmen. Das belegt eine noch unveröffentlichte, von der Techniker-Krankenkasse in Auftrag gegebene Studie unter 1000 Praxismedizinern. "Zu meiner großen Überraschung geben 82 Prozent der Ärzte an, dass sie schon einmal von Krankenkassen bei der Kodierung beeinflusst wurden", sagte der Chef der Techniker-Kasse, Jens Baas, unserer Redaktion. Kodierung bezeichnet die Übersetzung einer ärztlichen Diagnose in einen Code der Krankenkasse.

Befragt wurden von Ende August bis zum 20. Oktober Allgemeinmediziner, praktische Ärzte und Internisten ohne Schwerpunkt durch den Dienst "Doc Check Medical Services". Auch der Gesetzgeber hat das Vorgehen der Kassen als Missstand erkannt. Seit April dieses Jahres ist die Beeinflussung ausdrücklich verboten. Sie läuft aber weiter, wie die Umfrage zeigt. Demnach gaben allein 18,2 Prozent der Ärzte an, dass Kassen sie nach Inkrafttreten des Gesetzes beeinflusst hätten. Hochgerechnet entspreche dies einer Zahl von 11.000 niedergelassenen Ärzten, betonte Baas. Krankenkassen haben einen finanziellen Vorteil davon, wenn die Versicherten auf dem Papier möglichst krank sind. Denn sie erhalten ihre Geldzuweisungen aus dem Topf der Krankenkassenbeiträge nach Alter, Geschlecht und Gesundheitszustand ihrer Versicherten.

Für einen Asthma-Patienten gibt es zum Beispiel mehr Geld, als wenn der Arzt eine einfachere Erkrankung der Luftwege kodiert. "Die häufigsten Einflussnahmen der Krankenkassen auf die Ärzte erfolgen bei jenen Krankheiten, bei denen es Interpretationsspielräume gibt und wo bestimmte Kodierungen den Kassen Geld bringen", sagte Baas. In der Umfrage sollten die Ärzte auch angeben, in welchen Fällen die Kassen sie beeinflussen wollen. So erlebten schon 63 Prozent der Ärzte eine Einflussnahme bei Diagnosen, die das Kreislaufsystem betreffen (dazu zählt auch Bluthochdruck), 59 Prozent bei Stoffwechselkrankheiten, wozu Diabetes zählt, 42 Prozent beim Atmungssystem, wobei es auch um Asthma geht, und je ein Drittel bei chronischen Schmerzen und psychischen Erkrankungen. Für die Patienten bleiben die Tricksereien nicht folgenlos.

"Noch immer setzen die Kassen viel Energie und Geld ein, um Kodierungen zu erhalten, die ihnen hohe Geldzuweisungen einbringen", sagte Baas. Dafür seien die Versichertengelder aber nicht da. Die Einflussnahme der Kassen könne dazu führen, "dass für Patienten Krankheiten dokumentiert werden, an denen sie nicht leiden". Baas warnt vor einem existenziellen Problem: "Wenn jemand auf dem Papier die Diagnose Depression erhält, obwohl er nur eine depressive Verstimmung hat, und dann beim Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung auch keine Depression angibt, kann das im Falle des Falles zum Verlust des Versicherungsschutzes führen."

Der TK-Chef betonte, er lege seine Hand dafür ins Feuer, dass seine Kasse nichts Illegales tue und dass man niemanden dazu anleite, Patienten auf dem Papier kränker zu machen, als sie seien. Die Kassen treten auf unterschiedliche Art an die Ärzte heran. Teils sprechen sie sie persönlich an, teils schließen sie mit den Ärzten eigene Verträge über die Versorgung bestimmter Patientengruppen. Dann erhalten die Ärzte oft auch eine Praxissoftware, die im Sinne der Kassen die Kodierung vornimmt. Baas fordert, das Verbot der Beeinflussung besser zu kontrollieren: "Besonders schwierig ist das bei der Praxissoftware." Er will auch, dass die großen Volkskrankheiten nicht mehr so stark gewichtet werden: "Das macht das System so manipulationsanfällig."

Das System der Geldzuweisungen nach Krankheitsbildern gibt es seit 2009. Es ist umstritten, seitdem es existiert. Die Techniker-Krankenkasse, die ein eher jüngeres und gesünderes Publikum hat, profitiert von dem Ausgleichssystem weniger als beispielsweise die AOK. Erst vor zwei Wochen wurde ein wissenschaftliches Gutachten veröffentlicht, wonach noch mehr Krankheiten für die Geldzuweisungen an die Kassen zugrunde gelegt werden sollten. Während der AOK-Bundesverband das Gutachten begrüßte, kritisierte die Techniker-Kasse, eine solche Reform würde noch mehr Fehlanreize schaffen.

Quelle: Rheinische Post (ots)

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