Akupunktur bei Kniearthrose besser als Standardtherapie, aber es muss nicht TCM sein
Archivmeldung vom 11.07.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIn der soeben publizierten gerac-Gonarthrosestudie* - eine von vier kontrollierten Studien des gerac-Modellprojekts** - linderte eine Akupunkturbehandlung Schmerzen und Funktionseinschränkung bei Kniearthrose signifikant besser als die Standardtherapie mit Medikamenten und Krankengymnastik.
Dabei war allerdings eine "Schein"-Akupunktur mit oberflächlicher Nadelung an
Punkten, die nicht als Akupunkturpunkte definiert sind, ebenso wirksam wie die
Akupunktur nach den Regeln der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), betont
Prof. Norbert Victor vom Institut für Medizinische Biometrie und Informatik
(IMBI) der Universität Heidelberg.
Die dreiarmige Studie an über 1000
Patienten wurde von Wissenschaftlern der Universität Heidelberg geplant,
durchgeführt und ausgewertet. Alle Patienten erhielten die Standardversorgung
mit Medikamenten nach Bedarf und Krankengymnastik. In allen drei
Behandlungsgruppen gab es zehn Arztbesuche. In den beiden Akupunkturgruppen
erhielten die Patienten zusätzlich entweder 10 Behandlungen mit einer
TCM-Akupunktur nach Lehrmeinungen der Deutschen Akupunkturgesellschaften bei
Knieschmerzen, oder eine "Schein"-Akupunktur. Hierbei wurden insgesamt zehn
Nadeln oberflächlich und ohne Stimulation an ausgewählten Punkten gestochen, die
nicht definierten Akupunkturpunkten entsprachen und nicht unmittelbar am Knie,
sondern im Bereich des Knöchels, der Oberschenkel und am Arm lagen.
Als
Erfolg definierte man eine mindestens 36%ige Verbesserung auf einer
international anerkannten Bewertungsskala (WOMAC-Score), die sowohl Schmerz,
Funktionalität als auch Gelenksteifigkeit erfasst. Die Messung erfolgte nach 26
Wochen. Die Erfolgsraten betrugen 29% für die Standardtherapie, 53% für die
TCM-Akupunktur und 51% für die Sham-Akupunktur. Beide Akupunkturtechniken waren
deutlich wirksamer als die Standardtherapie, ein merklicher Unterschied zwischen
den beiden Akupunkturbehandlungen zeigte sich nicht. Neben der langfristigen
Verbesserung des Befindens der Patienten war auch der wesentlich geringere
Verbrauch an Schmerzmedikamenten in den beiden Akupunkturgruppen gegenüber der
Standardtherapiegruppe bemerkenswert.
Die beobachtete gleiche
Wirksamkeit beider Akupunkturschemata zeigt, dass für eine erfolgreiche
Behandlung die Punktauswahl nicht zwingend nach den Kriterien der TCM erfolgen
muss und außerdem ein oberflächliches Stechen ausreicht. Da diese Aussage streng
genommen nur für die in der Studie gewählten Therapieschemata zutrifft, kann
daraus nicht gefolgert werden, dass es gleich ist, wie und wohin man sticht,
betont Prof. Victor. Somit kann die gerac-Studie keinen Beweis für oder gegen
eine spezifische Wirksamkeit einer TCM-basierten Akupunktur bieten. Vermutlich
tragen drei Komponenten zur Wirkung bei:
- Das Stechen "an sich",
- die
intensivere Zuwendung der behandelnden Ärzte, und
- die Erwartungshaltung
der (von etablierten Therapien enttäuschten) Patienten.
Auf der Basis der
Ergebnisse dieser Studie hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) am 18.04.2006
empfohlen, dass (neben Rückenschmerzen) Akupunktur - als Teil einer multimodalen
Behandlung - bei chronischen Knieschmerzen zukünftig Regelleistung der
gesetzlichen Krankenkassen wird. Grundlage des Beschlusses der GBA war die in
den gerac-Studien festgestellte Überlegenheit der Akupunktur über die
Standardtherapie in den Indikationen Knieschmerz und Rückenschmerz. Dies war bei
Migräne und Spannungskopfschmerz nicht der Fall, weshalb die Akupunktur für
diese beiden Indikationen nicht als Kassenleistung anerkannt wurde.
Fazit:
* Die derzeitige Standardversorgung von Patienten mit
chronischen gonarthrosebedingten Schmerzen ist unzureichend, daher ist weitere
Forschung im Bereich Patientenversorgung dringend notwendig.
* Durch
Einbeziehung einer Akupunkturbehandlung in ein multimodales Behandlungskonzept
kann das Befinden der Patienten und die Wirksamkeit deutlich verbessert
werden.
* Gleichzeitig kann der Bedarf an Schmerzmitteln (und das damit
verbundene Risiko unerwünschter Nebenwirkungen) reduziert werden.
*
Wesentliche Unterschiede in der Wirkung einer TCM-Akupunktur und einer
"Schein"-Akupunktur mit oberflächlichem Stechen an Nicht-TCM-Punkten existieren
nicht; die Notwendigkeit eines Stechens tiefer als 0.5 cm ist daher zu
hinterfragen. Offenbar wurde auch die Bedeutung der Punktspezifität der
Akupunktur bislang überschätzt.
* Bei dem für die Studie definierten
"Schein"-Akupunkturschema handelt es sich wahrscheinlich um eine "echte"
Akupunktur im Sinne einer Minimalakupunktur und nicht um eine
Placebo-Akupunktur, bei der - für die Patienten nicht ersichtlich - gar nicht
gestochen wird.
* Die Kritiker der Akupunktur werden durch die Ergebnisse
aufgefordert, ihre ablehnende Haltung zu dieser Therapieform kritisch zu
überdenken.
* Die Vertreter der Akupunktur nach Regeln der TCM sind durch die
Ergebnisse aufgefordert, ihre Akupunkturschemata zur Behandlung chronischer
Knieschmerzen im Sinne eines wirksamen minimal-invasiven Vorgehens zu
optimieren.
* Patienten mit chronischen Knieschmerzen können in Zukunft
(wahrscheinlich ab dem 1.Oktober 2006) Akupunkturtherapie auf Kassenkosten
beanspruchen, allerdings nur einmal pro Jahr und nur bei qualifizierten Ärzten
(dies wären momentan lediglich 1.400 im gesamten Bundesgebiet!). An einer
Akupunkturbehandlung interessierte Patienten sollten sich deshalb umgehend bei
ihrer Kasse über in Frage kommende Ärzte und Behandlungsmethoden
informieren.
* Hanns-Peter Scharf, Ulrich Mansmann, Konrad Streitberger,
Steffen Witte, Jürgen Krämer, Christoph Maier, Hans-Joachim Trampisch and
Norbert Victor: Acupunture and Knee Osteoarthritis. A three-armed randomized
trial; Ann Intern Med 2006; 145: 12-20.
**gerac = German Acupuncture
Trials
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.