Viele Zahnärzte bohren zu früh
Archivmeldung vom 28.07.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIn Deutschland werden Zähne häufig unnötig mit Füllungen geflickt. Ein Patient sollte vor allem dann skeptisch werden, wenn er regelmäßig zur Kontrolle geht, der Zahnarzt aber trotzdem plötzlich gleich mehrere Zähne auf einmal behandeln möchte. "In solchen Fällen sollte er nicht zögern, eine Zweitmeinung einzuholen", rät Stefan Zimmer, Professor für Zahnerhaltung am Universitätsklinikum Düsseldorf in der Zeitschrift stern GESUND LEBEN.
Bei der Diagnose von Karies gibt es große Spielräume. Solange die Oberfläche des Schmelzes noch nicht eingebrochen ist, kann der Defekt bei guter Zahnpflege von selbst ausheilen.
Aus Sicht des Experten ist es besser für die Zähne, einen nicht eindeutigen Kariesbefund erst einmal zu beobachten, statt gleich den Bohrer anzusetzen. Denn um eine Füllung zu setzen, müsse immer gesunde Zahnsubstanz geopfert werden. Selbst wenn die Reparatur nach allen Regeln der Kunst erfolgt, ist der Zahn anschließend anfälliger für Karies. Dennoch, sagt Zimmer, gingen viele Zahnärzte lieber auf Nummer sicher und machten gleich eine Füllung.
Auch bei bereits geflickten Zähnen neigten Zahnärzte zur Überbehandlung - um sicherzugehen, dass sich unter den Füllungen keine Karies versteckt. "Vor allem alte Amalgamfüllungen können scheußlich aussehen, da ist die Versuchung durchaus verständlich", so der Experte
Von zwei Zahnärzten mit unterschiedlichen Meinungen sollte man eher demjenigen glauben, der weniger behandeln möchte, empfiehlt der Vorsorgespezialist. Er warnt aber davor, aus Sorge vor Fehlbehandlungen zu häufig den Arzt zu wechseln. Zahnarzthopper haben einer Studie zufolge schlechtere Zähne als Zahnarzt-Treue. Zimmer: "Wenn man zu misstrauisch ist, vertraut man am Ende niemandem mehr, und das ist sicher keine gute Lösung."
Unnötige Zahnverluste durch mangelnde Sorgfalt
Etwa sechs Millionen Wurzelbehandlungen werden jährlich über die Krankenkassen abgerechnet. Die Prozedur ist oft die letzte Möglichkeit, einen entzündeten Zahn zu retten. In unnötig vielen Fällen scheitert der Eingriff. Forscher der Universität Göttingen untersuchten 200 Patienten, die sich nach einer Wurzelkanalbehandlung durch andere Zahnärzte erstmals in der Klinik vorstellten. Erschreckendes Ergebnis: In etwa jedem zweiten Fall waren die Zahnärzte nicht gründlich genug vorgegangen: Bakterien waren in den Wurzelkanälen der Zähne zurückgeblieben, mehr als die Hälfte der Wurzelfüllungen war zu kurz. Rund 90 Prozent der Zähne könnten nach einer Wurzelbehandlung erhalten werden, sagt Michael Hülsmann, Professor für Zahnerhaltung unter Leiter der Studie, in der Zeitschrift stern GESUND LEBEN - vorausgesetzt, die Zahnärzte würden die Therapie mit viel Sorgfalt, Zeit und spezieller Ausrüstung nach aktuellen Richtlinien durchführen.
Mit drei Maßnahmen könnte die Erfolgsquote deutlich gesteigert werden. Die erste ist, dass der Zahnarzt mit einem so genannte Kofferdam arbeitet - einem Gummituch, das verhindert, dass Speichel oder Bakterien in den aufgebohrten Zahn gelangen. Bislang nur 8,2 Prozent der deutschen Zahnarztpraxen verwenden es in jedem Fall. Die zweite Maßnahme ist der Einsatz eines Dentalmikroskops. Die wenigsten Zahnärzte hierzulande nutzen es - obwohl das Nervensystem winzig klein verzweigt ist und das menschliche Auge die Umgebung nicht in ausreichender Detailschärfe ausmachen kann. Nach Experteneinschätzung ist ein Mangel an Fachzahnärzten die dritte und entscheidende Schwachstelle. Zahnmediziner, die sich auf Wurzelerkrankungen und -behandlungen, also auf Endontie, spezialisiert haben, erreichen deutliche höhere Heilungsquoten. Hülsmann empfiehlt Patienten, solche Experten aufzusuchen - auch wenn viele dieser Experten von Kassenpatienten den Abschluss eines zusätzlichen Behandlungsvertrages verlangen, der Patient also aus eigener Tasche zuzahlen muss.
Quelle: stern