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Feinstaub: Musterklagen sollen Fahrverbote in Berlin, München und Dortmund erzwingen

Archivmeldung vom 28.02.2005

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 28.02.2005 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Nach neuer EU-Studie sterben in Deutschland jährlich 65.000 Menschen vorzeitig an Luftverschmutzung. Zum zweiten Mal vollständiges Fahrverbot in italienischen Metropolen verhängt

Die Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) teilte heute in einer Presseerklärung mit, daß sie die Einhaltung der seit dem 1. Januar 2005 EU-weit verbindlichen Luftreinhaltevorschriften gerichtlich erzwingen will.
Vor Journalisten in Berlin kündigte die Umwelthilfe an, entsprechende Klagen für betroffene Bürger vor den zuständigen Verwaltungsgerichten der Städte einreichen zu wollen, in denen der Tagesgrenzwert für Feinstäube (PM 10) am häufigsten überschritten wird. Dies sind derzeit München mit 20, Dortmund mit 19 und Berlin mit 16 bzw. 15 Grenzwert-Überschreitungen (Berlin Charlottenburg-Stadtautobahn und Friedrichshain-Frankfurter Allee) seit Jahresbeginn.

Nach einer noch unveröffentlichten EU-Studie über die Folgen der Luftverschmutzung sterben derzeit in Gesamteuropa jedes Jahr etwa 310.000 Menschen vorzeitig an den Folgen von Ozon und Feinstaub, davon allein in Deutschland 65.000. Jeden Europäer kostet die Luftbelastung durchschnittlich neun Monate seines Lebens. Die Luftverschmutzung erhöht darüber hinaus den Krankenstand in Europa im Durchschnitt um einen halben Tag pro Arbeitnehmer und Jahr - was Verluste in Höhe von 80 Milliarden Euro am EU-weiten Bruttoinlandsprodukt zur Folge hat.

Angesichts derart dramatischer Befunde hält DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch die derzeitige Hinhaltetaktik in deutschen Großstädten für unverantwortlich: "Seit 1999 wissen Bund, Länder und Kommunen, dass zum Jahresbeginn 2005 die EU-Luftreinhaltewerte verbindlich werden. Der Luftreinhalte- und Aktionsplan der Berliner Senatsumweltverwaltung dient in Wahrheit nicht der Luft- sondern der Druckentlastung. Mit vielen im Detail vernünftigen aber größtenteils in die Zukunft verschobenen Ankündigungen soll der Druck aus dem Kessel genommen werden."

In Wirklichkeit soll der kürzlich veröffentlichte Berliner Plan nach Überzeugung der DUH verdecken, dass es über volle drei Jahre keinerlei zusätzliche Reaktion auf die seit Jahresbeginn geltende Rechtslage geben soll. "Drei Jahre Nichtstun kann angesichts der immer dramatischeren Erkenntnisse über die Folgen der Feinstaubbelastung keinesfalls hingenommen werden. Das ist ein offener Rechtsbruch. Dieselruß macht die Menschen nicht in drei Jahren krank, sondern jetzt. Der Plan ist ein Placebo, verpackt in eine Mogelpackung", so Resch.

Indem die Senatsumweltverwaltung den Plan auch noch von der Gesetzgebung auf Bundesebene - Plaketten auf Windschutzscheiben und einem Verkehrsschild "Umweltzone" - abhängig mache, füge sie dem seit Jahren andauernden unsäglichen Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Bund und Ländern eine neue Runde hinzu. Der Senat versuche "Kleinmütigkeit als Entschlossenheit zu verkaufen und die Verantwortung auf andere zu schieben", kritisierte Resch. Es sei kaum anzunehmen, dass 190.000
Berliner, die in den Hoch-Belastungszonen leben, das einfach hinnähmen.

Weil es einen Schwellenwert, unterhalb dessen Feinstaubpartikel als gesundheitlich unbedenklich eingestuft werden könnten, nicht gebe, sieht die EU zudem eine Verschärfung der Grenzwerte ab 2010 vor. Diese so genannte Stufe 2 der EU-Luftreinhalte-Richtlinie wird in dem von der Senatsumweltverwaltung veröffentlichten Luftreinhalte- und Aktionsplan nicht berücksichtigt. Ab 2010 wird danach der Jahresgrenzwert von 40 auf 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft abgesenkt, der Tagesgrenzwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft darf dann nur noch 7 statt bisher 35 mal überschritten werden. Resch erinnerte daran, dass andere EU-Staaten auf die Vorgaben der EU-Luftreinhalte-Richtlinie mit rigiden Maßnahmen reagierten. Zum Beispiel Italien. Das Land habe am 13. und 20. Februar Fahrverbote
unter anderem in Rom, Bologna, Ferrara, Parma, Mantua und Ravenna erlebt. Die Staatsanwaltschaft in Venedig und Florenz habe von den Behörden detaillierte Informationen verlangt, wie diese die Gesundheit ihrer Bürger in Zukunft zu schützen gedächten. In Rom zogen die Menschen am 13. Februar bei strahlendem Sonnenschein mit dem Fahrrad oder zu Fuß durch die Stadt. Das Fahrverbot galt von 10 bis 18 Uhr. Zuvor waren in der Innenstadt 75 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft gemessen worden. Nach den EU-Bestimmungen ist ein 24-Stunden-Grenzwert von höchstens 50 Mikrogramm erlaubt. Die Messstelle an der Frankfurter Allee in Berlin-Friedrichshain zeigte am 7. Februar einen Tagesmittelwert von 129, die an der Stadtautobahn in Charlottenburg sogar von 143 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter
Luft an - eine fast dreifache Überschreitung des zugelassenen Höchstwertes. Irgendeine Reaktion des Senats, eine Warnung der Bevölkerung oder andere Sofortmaßnahmen zur Entschärfung der Situation wurden nicht bekannt.

Auf der Bundesebene sieht es kaum besser aus. Finanzminister Hans Eichel steht trotz klarer Vorgaben des Bundeskanzlers bis zum heutigen Tag auf der Bremse. Es gibt nach Informationen der Deutschen Umwelthilfe keinen konkreten Vorschlag für die steuerliche Förderung von Partikelfiltern, eine Entscheidung hierüber ist frühestens Ende 2005 zu erwarten. Dafür verantwortlich sind auch eine Reihe von Bundesländern, die zwar den Bund zum Handeln auffordern, selbst aber keinen Euro zum Schutz ihrer Bürger vor überhöhten Feinstaubbelastungen in die Hand nehmen wollen.

Unterdessen haben folgende EU-Staaten bereits unterschiedliche Programme zur beschleunigten Einführung des Partikelfilters beschlossen: Österreich, Italien, Belgien, Niederlande, Dänemark, Frankreich und Großbritannien (Wales). Die Initiativen umfassen Förderprogramme für Pkw, Lkw (3,5 - 40 Tonnen), Busse und Baumaschinen.

Die Deutsche Umwelthilfe akzeptiert nicht den durchsichtigen Versuch der Berliner Senatsumweltverwaltung, sich mit der Verschiebung spürbarer Maßnahmen auf einen Zeitpunkt nach den nächsten Berliner Wahlen Luft zu Lasten der Gesundheit der Berliner Bürger zu verschaffen. Das jetzt angestrengte Verfahren im so genannten einstweiligen Rechtsschutz zielt auf die Beschleunigung wirksamer Maßnahmen. Dr. Fabian Löwenberg, Rechtsvertreter der DUH von der Berliner Kanzlei "Löwenberg Rechtsanwälte": "Der Luftreinhalte- und Aktionsplan sieht zur Verringerung der
Feinstaubbelastung in der Berliner Innenstadt zwar ab 2008 mittel- und langfristige Maßnahmen vor. Er verzichtet aber auf alles, was zur sofortigen Minderung der überhöhten Feinstaubbelastung an den Hauptverkehrsadern der Berliner Innenstadt geeignet wäre."

Bereits seit Inkrafttreten der Richtlinie 99/30/EG im April 1999 sei dem Senat bekannt, dass ab dem 1. Januar 2005 europaweit die strengen Grenzwerte für Feinstaub verbindlich einzuhalten seien. Das Land Berlin habe also fünf Jahre Zeit gehabt, einen effektiven Aktionsplan zu erarbeiten. Der jetzt vorgelegte Luftreinhalte- und
Aktionsplan für Berlin werde noch nicht einmal seinem Namen gerecht.
Ein Aktionsplan heiße Aktionsplan, weil er Ziele mit kurzfristig wirksamen Aktionen erreichen solle. Die würden jedoch in dem Plan auf die Jahre 2008 und 2010 verschoben und auch dann nur halbherzig angegangen. "Der Senat verkennt bewusst die hohe Dringlichkeit der Feinstaubproblematik", so Löwenberg. Die Feinstaubbelastungen in der Berliner Innenstadt verkürzten nach Überzeugung praktisch aller Fachleute sehr konkret die Lebenserwartung der dort lebenden
Menschen. Deshalb sei es vollkommen unverständlich, dass der Senat meine, weiter auf Zeit spielen zu können, statt seiner Vorsorgepflicht nachzukommen. Löwenberg: "Der Luftreinhalte- und Aktionsplan für Berlin ist in seiner aktuellen Form völlig
ungeeignet, die Gesundheit der Menschen in den kommenden Jahren vor Feinstaubgefahren zu schützen."

Deshalb sei das Land Berlin verpflichtet, auch so genannte "planunabhängige Maßnahmen" zu ergreifen, um die Grenzwerte für Feinstäube einzuhalten und damit eine akute Gesundheitsgefährdung seiner Bürger zu verhindern. Es gehe darum, effektive und unmittelbar wirksame Maßnahmen zur gezielten Reduzierung von Feinstäuben zu ergreifen. Mit seiner bisher demonstrierten Untätigkeit verstoße das
Land Berlin gegen geltendes Recht. Ein weiteres Abwarten sei "den Berliner Bürgern wegen der akuten Gesundheitsgefährdung nicht zumutbar. Wir werden daher die Rechte der betroffenen Berliner Bürger gerichtlich durchsetzen", erklärte Löwenberg.
 
Konkretes Ziel der Klage sei, das Land Berlin zur Ergreifung von planunabhängigen Maßnahmen zu zwingen. Die könnten zum Beispiel mit Fahrverboten für Dieselfahrzeuge ohne Partikelfilter bestehen. Oder der Senat könnte zur Aufstellung eines Aktionsplans verpflichtet werden, der diesen Namen verdient und konkrete Maßnahmen bereits im Jahre 2005 vorsieht.

DUH-Anwalt Löwenberg: "Wegen der akuten Gesundheitsgefährdung unserer Mandanten werden wir selbstverständlich einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch nehmen."

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