Bericht: Mangelnde Kontrollen bei Bluttests
Archivmeldung vom 10.01.2018
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Freigeschaltet durch André OttMedizinische Bluttests unterliegen in Deutschland zu geringen staatlichen Kontrollen. Nach Recherchen der "Süddeutschen Zeitung" werden Bluttests nicht so intensiv überprüft, wie dies zum Schutz der Patienten nötig wäre. Das kann dazu führen, dass falsche Diagnosen gestellt werden und die nötigen Therapien ausbleiben. Hohe Ärztefunktionäre sind alarmiert.
Der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, Hendrik Schulze-Koops, sagte der SZ: "Es gibt viel Schindluder auf diesem Markt." Von manchen Testprodukten, so Schulze-Koops weiter, sei unter Fachleuten bekannt, dass sie nie funktionierten. Auch der Hormon-Experte Martin Reincke von der Universität München, bis Ende 2017 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, sagte: "Das ist ein sehr dunkler Bereich, der viel mehr beleuchtet werden müsste." Gemeint sind nicht die viel verwendeten Tests auf Blutzucker und Cholesterin, sondern technisch kompliziertere Tests, die winzige Mengen von Eiweißstoffen im Blut messen, wie sie für die Diagnose von manchen Autoimmunkrankheiten, hormonellen Erkrankungen und Krebsleiden wichtig sind.
"Diese Analytik ist von absolut kritischer Relevanz", sagt Reincke. Sie entscheide zum Beispiel darüber, ob ein Tumor von der Nebenniere entfernt werden muss oder ein Kind Wachstumshormone erhält. Auch die Politik schlägt Alarm. Hilde Mattheis, die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD im Bundestag, kritisiert scharf, dass die Test-Hersteller "ihre eigenen Produkte als unbedenklich einstufen können". Das System schaffe zu viele Anreize, "um die Risiken für die Patienten den wirtschaftlichen Interessen der Hersteller unterzuordnen". Maria Klein-Schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, klagt, das Gesundheitsministerium halte seine Hand über die Hersteller und unterstütze die lasche Regulierung auf EU-Ebene. "Die Qualitätskontrolle ist lückenhaft", sagt Klein-Schmeink.
Die Recherchen der SZ gehen zurück auf den Fall einer Berliner Patientin, die falschen Testergebnissen auf den Grund gehen wollte, aber von allen beteiligten Behörden nur zu hören bekam, es sei alles in Ordnung. Wie sich herausstellte, hatten diese nur die Abläufe überprüft, nicht die einzelnen Bluttests. Außerdem hatten sie sich auf die Selbstkontrollen der Labors und Hersteller verlassen. Da es sich bei Bluttests nicht um streng kontrollierte Arzneimittel handelt, sondern um In-vitro-Diagnostika, die rechtlich zu den Medizinprodukten gehören, gelten bis heute bei ihrer Überprüfung laxere Regeln. Eine Zulassung benötigen die Tests überhaupt nicht.
Hersteller können sie einfach auf den Markt bringen. Nur für manche besonders sensiblen Tests müssen sie vorher einen Antrag stellen - allerdings nicht bei einer Behörde, sondern bei einer sogenannten Benannten Stelle, einer TÜV-Organisation zum Beispiel. Die Gesundheitsexpertin der Linken, Sylvia Gabelmann, kritisiert vor allem die Rolle dieser Prüfstellen: "Es ist eine Fehlentscheidung, milliardenschwere Wirtschaftsunternehmen damit zu betrauen." Es sei doch offenkundig, dass diese "in den Herstellern der zu prüfenden Produkte auch zahlungskräftige Kunden sehen".
Quelle: dts Nachrichtenagentur