Veränderungen im Gehirn von Patienten mit Essstörung erstmals im Kernspintomografen sichtbar gemacht
Archivmeldung vom 25.06.2010
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtPersonen mit einer Essstörung haben eine verzerrte Körperwahrnehmung. Aber: Durch eine spezielle Körperbildtherapie kann die Körperbildwahrnehmung bei Patienten mit den Essstörungen Magersucht und Bulimie nachweislich verändert werden. Das Gefühl, zu dick zu sein, ständiges Messen und Wiegen, die Angst, zuzunehmen oder sich anderen zu zeigen, quälen Patientinnen und Patienten.
Diese gestörte Wahrnehmung spiegelt sich auch in den Hirnfunktionen wider. Diese Veränderung im Kernspintomografen sichtbar machen gelang jetzt erstmals Wissenschaftlern von Prof. Dr. Dietrich Grönemeyers Lehrstuhl für Radiologie und Mikrotherapie der Universität Witten/Herdecke und einer Arbeitsgruppe des Grönemeyer-Instituts für Mikrotherapie um Dr. Martin Busch.
Deren Kooperationspartner, die Psychologen Dr. Silja Vocks und Dr. Boris Suchan von der Ruhr-Universität Bochum, verglichen die Veränderung des Volumens der grauen Hirnsubstanz in der so genannten Extrastriate Body Area (EBA) bei Probanden und Patienten mit Magersucht. Veränderungen des Volumens der EBA und der Aktivierung durch eine speziell entwickelte Therapie wurden innerhalb der Patientengruppe bestimmt. Die Patienten wurden in zwei Gruppen aufgeteilt. Ein Gruppe erhielt eine von Dr. Vocks mit entwickelte spezielle Therapie zur Verbesserung des Körperbildes, eine Gruppe wurde nicht therapiert. Mit dieser Gruppeneinteilung werden die Unterschiede in der Hirnaktivierung und in der Modellierung der grauen Hirnsubstanz unter Therapie beobachtet.
Im Kernspintomografen des Grönemeyer-Instituts in Bochum wurden den Probanden Bilder von Gegenständen und vom menschlichen Körper gezeigt. "Die Aufnahmen des Kernspintomografen zeigten, dass in der für die Verarbeitung von Körperbildern zuständigen Hirnregion (EBA) die graue Substanz bei den essgestörten Probanden deutlich vermindert ist", berichtet der Physiker Dr. Martin Busch.
Fraglich war deshalb, ob sich trotz zweifellos vorhandener genetischer Veranlagungen die gestörte Körperwahrnehmung beeinflussen lässt. Eine funktionelle Kernspinuntersuchung (fMRI; functional magnetic resonance imaging) im Grönemeyer-Institut konnte dies klären. Untersucht wurden mit dieser Methode nur Essgestörte. Die Gruppe, die eine Körperbildtherapie absolviert hatte, wurde mit den nicht therapierten Essgestörten verglichen.
- Die Aktivierungsmuster im Gehirn bei Betrachtung des eigenen und eines fremden Körpers zeigen deutliche Unterschiede bei gesunden und essgestörten Probanden.
- Bei den magersüchtigen Essgestörten ist die Anzahl der grauen Zellen in der EBA geringer. Die Aktivierung der EBA konnte durch die Therapie erhöht werden. Die Region ist demnach plastisch und kann durch Therapie verändert werden.
- Eine deutlich erhöhte Aktivität des Amygdala-Areals konnte bei Personen mit Essstörungen beim Betrachten fremder Körper im Vergleich zu Personen ohne Essstörung festgestellt werden. Die Amygdala, der Mandelkern, ist Bestandteil des limbischen Systems, das bei Angst und unangenehmen Gefühlen aktiviert wird. Ursächlich für die erhöhte Aktivität könnte die Tatsache sein, dass sich Menschen mit Essstörungen stärker mit anderen vergleichen und bei diesem Vergleich ihrem subjektiven Empfinden nach schlechter abschneiden.
- Vorangegangene Untersuchungen konnten zeigen, dass sich bei den Betroffenen durch die Körperbildtherapie das Verhältnis zum eigenen Körper verbessert oder sich negative körperbezogene Gefühle und Gedanken verringern.
"Dieses Zusammenspiel von Psychologie und bildgebenden Verfahren ist einzigartig. Der Psychologe entwirft die Therapie und führt sie durch, während mit Hilfe der funktionellen Kernspintomografie der Erfolg der Therapie radiologisch überwacht wird. Der Forschungserfolg zeigt erneut die Bedeutung und den Nutzen interdisziplinärer Teams in der Medizin", betont Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer, der seit Jahren die fachübergreifende Zusammenarbeit von Ärzten, Ingenieuren, Mathematikern, Natur- und Geisteswissenschaftlern sowohl an seinem Lehrstuhl als auch an seinem Institut praktiziert. Zudem ist es ihm als Vorsitzendem des Wissenschaftsforums Ruhr ein besonderes Anliegen, eine vernetzte und fächerübergreifende Wissenschaft noch stärker in der Region zu verankern. Die Forschungsergebnisse wurden in den Fachzeitschriften "Journal of Psychiatry and Neuroscience" und "Behavioural Brain Research" veröffentlicht und als besonderes Forschungs-Highlight herausgestellt.
Quelle: Private Universität Witten/Herdecke gGmbH