Informationen zur Gentechnik
Archivmeldung vom 11.07.2005
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.07.2005 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Michael DahlkeUSA veranlassen Gesetz zur Kontrolle von Saatgut und Ernte im Irak
Ein Großteil der 200.000 bekannten Weizensorten geht Schätzungen zufolge auf die Bauern im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris zurück. Für 1,4 Milliarden Bauern auf der Welt sind freier Nachbau und Saatguttausch die Basis für das Überleben. Außerdem wird hierdurch die Weiterentwicklung und die Erhaltung der biologischen Vielfalt gewährleistet. 75 Prozent des Saatgutes befinden sich weltweit schätzungsweise noch in den Händen der Bauern und sind damit der Kontrolle durch die großen multinationalen Konzerne des Agrarsektors entzogen.
Nun sollen jedoch nach den Plänen der US-Regierung und der Agro-lndustrie der freie Saatguttausch, die traditionellen Sorten und die Sortenvielfalt im Irak schon bald der Vergangenheit angehören. Die (Emährungs-) Souveränität des Landes könnte durch einen Erlass des ehemaligen Zivilverwalters Paul Bremer so nachhaltig beeinträchtigt werden wie durch keine andere politische Intervention aus Washington. Denn dieser Erlass (die sog. „Order 81") erklärt die seit Jahrtausenden gepflegten Traditionen von Nachbau und Saatguttausch für illegal und forciert das Eindringen der Saatgutkonzerne in den Irak. Bremer hinterließ der irakischen Übergangsregierung eine Reihe neuer Verordnungen und Gesetzesentwürfe. Die „Order 81" über „Patentrechte, Industriemuster, unveröffentlichte Informationen, integrierte Schaltkreise und Pflanzensorten", die das irakische Patentrecht von 1970 ersetzt, stellt gültiges und bindendes Recht dar. Dieses neue, von den USA erzwungene Patentrecht führt ein System von Monopolrechten an Saatgut und Privateigentum an biologischen Ressourcen ein, das die irakische Verfassung bislang verboten hatte. Es steht in engem Zusammenhang mit einer rabiaten neoliberalen Umstrukturierung der irakischen Wirtschaft. Ausschließlich große, transnationale Konzerne ziehen hieraus ihren Nutzen.
Hier ist der Irak lediglich ein weiteres, extremes Beispiel für die globale Durchsetzung von Gesetzen, die multinationalen Konzernen auf Kosten der Bauern Monopolrechte und Patente auf Saatgut ermöglichen. Durch das Welternährungsprogramm kann die USA, die dessen Hauptsponsor ist, ihre Agrarüberschüsse abbauen. Es geht dabei vor allem um genmanipulierten Mais und Soja, für das es auf dem Weltmarkt keine Käufer gibt. Durch diese kontaminierte Nahrungsmittelhilfe wurde in Mexiko innerhalb weniger Jahre ein bedeutender Teil des traditionellen Saatgutes verschmutzt. Denn diese „Nahrungsmittelhilfe" ist nicht als gentechnisch verändert gekennzeichnet und wird von nicht informierten Bauern als Saatgut verwendet. Auf diese Weise können patentierte genmanipulierte Pflanzen und andere Industriesorten leicht auf der ganzen Welt verbreitet werden. Von der Agro-lndustrie wird so eine gezielte Kontamination als entscheidendes Mittel angesehen, den weltweiten Widerstand gegen die Gentechnik zu brechen.
Bei einem Gentechnikkongress im Jahre 1999 nannte der Monsanto-Konzern sein Firmenziel: binnen 15 bis 20 Jahren solle sämtliches Saatgut auf der Welt gentechnisch verändert sein und somit patentiert sein. Die entscheidende Strategie hierbei sei die Einflussnahme auf die US-Regierung, deren Rolle es sei, die genmanipulierten Produkte auf die Märkte der Welt zu bringen, bevor sich Widerstand regt. So hofft die Industrie darauf, dass der Markt im Laufe der Zeit so überschwemmt wird, das man nichts mehr dagegen tun kann. Genau dies wird im Irak geschehen. Durch Pollenflug, Insektenbestäubung, Nahrungsmittelhilfe oder technische Kontamination bei Transport oder Verarbeitung werden sich die genmanipulierten Pflanzen ausbreiten. So wird jeder irakische Bauer innerhalb weniger Jahre zu einem mehr oder weniger großen Anteil Pflanzen auf seinem Acker stehen haben, die er nicht mehr als Saatgut für die nächste Saison nutzen darf. Auch wenn der Bauer traditionelles Saatgut benutzt, sich aber die geschützte oder patentierte Sorte des Nachbarn auf seine auskreuzt, macht er sich strafbar. Die Folgen dieser Patentrechtsverletzung können einen betroffenen Landwirt um seine Existenz bringen. Denn der Erlass sagt, dass das Gericht in einem solchen Fall nicht nur die Konfiszierung der Ernte, sondern auch die Konfiszierung der Materialien und W erkzeuge, die zur Verletzung des Schutzes der Sorte genutzt wurden, anordnen kann. Das bedeutet, dass ein Landwirt, der nichts anderes macht als das, was Bauern seit Beginn der Zivilisation tun, nämlich einen Teil seiner Ernte wieder auszusäen, nicht nur die Ernte und daraus gewonnene Produkte verlieren kann, sondern auch seinen Traktor, Pflug oder seine Lagermöglichkeiten. Dieser E rlass i st e ine Z äsur in der Geschichte der menschlichen Z ivilisation. Was mit der gemeinschaftlichen Sorge der Menschen um die Sicherung der Ernährung und im freiem Saatguttausch begann, endet mit der Kontrolle einer Handvoll Großkonzerne über die Grundlagen der menschlichen Ernährung. Henry Kissinger, der ehemalige Außenminister der USA, soll gesagt haben: „Beherrsche die Energie, und du beherrschst die Völker. Beherrsche die Nahrung und du beherrschst die Menschen."
Durch diese neuen Regelungen ist das Recht auf Ernährungssouveränität des Irak unmöglich geworden. Mit Ernährungssouveränität ist das Recht der Menschen auf die Festlegung ihrer eigenen Lebensmittel- und Landwirtschaftspolitik, der Schutz und die Regulierung der inländischen Agrarproduktion und des Handels mit Agrarprodukten gemeint. Sowie die Entscheidung darüber, auf welche Weise Nahrungsmittel hergestellt werden. Doch von Freiheit und Souveränität des Irak kann so lange keine Rede sein, wie die Iraker keine Kontrolle darüber haben, was sie säen, anbauen, ernten und essen.
Erklärung Alternativer Nobelpreisträger gegen Erlass 81:
Bei einer Konferenz zum 25 Jährigen Jubiläum des alternativen Nobelpreises in München im März 2005 wurde über die verheerenden Auswirkungen von Erlass 81 auf die irakische Landwirtschaft diskutiert. Die 13 anwesenden Träger des Preises unterzeichneten eine Resolution, in der der Erlass als „Verbrechen gegen die Menschheit" bezeichnet wird und die Regierungen der USA und des Irak zur sofortigen Rücknahme des Erlasses aufgefordert werden. Die Erklärung lautet:
„Die Order 81: Verbrechen gegen die Menschheit!
Der Irak ist eine Wiege der Zivilisation und der Landwirtschaft unserer Erde. Die traditionelle Vielfalt der Kulturpflanzen im Irak, die sich über Tausende von Jahren entwickelt hat, ist nicht nur Vermächtnis und Rechtsgut der irakischen Bauern, sondern der ganzen Welt. Die Order 81 wurde vom US-Beauftragten für den Wideraufbau des Irak, Paul Bremer, erlassen. Sie hat zum Ziel, dass die irakischen Bäuerinnen und Bauern zukünftig daran gehindert werden, ihre uralten Saaten und Kulturpflanzen anzubauen. Die Bäuerinnen und Bauern werden dazu gezwungen, nur noch industriell entwickeltes, gentechnisch manipuliertes und von Unternehmen patentiertes Saatgut zu verwenden.
Der Irak ist eine Wiege der Zivilisation und der Landwirtschaft unserer Erde. Die traditionelle Vielfalt der Kulturpflanzen im Irak, die sich über Tausende von Jahren entwickelt hat, ist nicht nur Vermächtnis und Rechtsgut der irakischen Bauern, sondern der ganzen Welt. Die Order 81 wurde vom US-Beauftragten für den Wideraufbau des Irak, Paul Bremer, erlassen. Sie hat zum Ziel, dass die irakischen Bäuerinnen und Bauern zukünftig daran gehindert werden, ihre uralten Saaten und Kulturpflanzen anzubauen. Die Bäuerinnen und Bauern werden dazu gezwungen, nur noch industriell entwickeltes, gentechnisch manipuliertes und von Unternehmen patentiertes Saatgut zu verwenden.
Wir fordern von der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika wie von der Regierung des Irak, die Order 81 zurücknehmen. Wir rufen die internationale Gemeinschaft dazu auf, die Vielfalt der landwirtschaftlichen Kulturpflanzen, die sich über Tausende von Jahren entwickelt haben, zu schützen und weiter zu verbreiten. Dringendes Handeln ist erforderlich, um dieses Welterbe zu retten und zu bewahren. Dazu müssen regionale Samenbanken aufgebaut werden, die von den örtlichen einheimischen Bäuerinnen und Bauern kontrolliert
werden."
München, 12. März 2005
Die Alternativen Nobelpreisträgerinnen und -träger:
Dr. Ibrahim Abouleish, Prof. Dr. Dr. Hans-Peter Dürr, Prof. Johan Galtung, Stephen Gaskin, Tapio Mattlar, Prof. Dr. Manfred Max-Neef, Pat Mooney, Nicanor Perlas, Prof. Dr. P.K. Raveendran, Irina Sherbakova, Dr. Vandana Shiva, Sulak Sivaraska, Prof. Dr. Michael Succow.
(Julia Busch, gekürzt aus Umweltnachrichten 101/2005, Andreas Bauer)
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