Industrie soll mit ITX belastete Fruchtsäfte noch bis Ende 2006 "abverkaufen" können
Archivmeldung vom 24.02.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 24.02.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittErneute Funde von mit der Druckchemikalie ITX stark belasteten Fruchtsäften in Getränkekarton von Tetra Pak und Elopak durchkreuzen die Strategie von Verbraucherschutzministerium und Industrie, kontaminierte Produkte noch bis Ende des Jahres weiterzuverkaufen.
Bei der fünften Staffel der von der Deutschen
Umwelthilfe e. V. (DUH) veranlassten ITX-Untersuchungen wurden zum
wiederholten Mal Maximalwerte von über 400 Mikrogramm ITX pro
Kilogramm (µg/kg) gefunden. Acht von dreizehn in den letzten Tagen
getesteten Produkten waren mehr oder weniger stark kontaminiert.
Damit erweist sich die Behauptung der Verpackungsindustrie, mit der
Produktionsumstellung auf ITX-freie Druckverfahren sei das Problem
spätestens seit Ende Januar 2006 gelöst, als reine
Vernebelungstaktik. Ein der DUH vorliegender, interner Vermerk zu
einem Gespräch im Haus von Verbraucherschutzminister Horst Seehofer
am 16. Februar belegt zudem die Absicht von Industrie und
Ministerium, auch solche Produkte weiter zu verkaufen, die ihr
Verfallsdatum erst Ende 2006 oder noch später erreichen. Bis dahin
sollen Verbraucherinnen und Verbraucher die ITX-Säfte konsumieren,
ohne dass die Frage der Toxizität geklärt wird.
"Verbraucherschutzminister Seehofer will offenbar die Entsorgung
von ITX-haltigen Getränken durch Kinderkehlen. Wir sind fassungslos
über das Ausmaß an Dickfelligkeit und Zynismus, mit dem die Industrie
nun schon seit Wochen auf Kosten der Verbraucher ihre Interessen
erfolgreich durchsetzt. Horst Seehofer muss sich fragen lassen, ob er
derart belastete Säfte auch seinen eigenen Kindern oder Enkeln zu
trinken geben würde", erregte sich DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen
Resch.
Trauriger Spitzenreiter der jüngsten von der DUH in Auftrag
gegebenen Analysen ist der "Multi-Vitamin-Saft hohes C" (0,2-Liter
Kinderpackung) von Eckes-Granini. Gemessen wurde eine Belastung von
405 µg/kg. Das Getränk ist in Kartons der Firma Tetra Pak abgefüllt,
gekauft wurde der Saft bei einer Kaufland-Filiale in
Berlin-Tempelhof. Ebenfalls hohe Belastungen ergaben die Analysen bei
dem "2-Fruchtsaft-Getränk Frucht sei Dank Bavaria Waldfrucht,
Apfel-Sanddorn" im 1-Liter-Karton mit 275 µg/kg und dem "Christinen
VitaZell A-C-E Orangen-Karotten-Zitronen-Vitamingetränk" im
0,5-Liter-Karton mit 266 µg/kg. Hersteller der Verpackungen war auch
in diesen beiden Fällen der Marktführer Tetra Pak. Gekauft wurden die
beiden Säfte in einer Walmart-Filiale in Berlin-Neukölln. Des
Weiteren wurden in einem "Rio Grande Premium Orangensaft" im
1-Liter-Karton der Firma Elopak 139 µg/kg ITX festgestellt Dieses
Getränk war in einer Edeka-Filiale in Berlin-Kreuzberg gekauft
worden. In drei weiteren Fruchtsaftgetränken und einem Milchprodukt
ergaben zudem Messungen eine Belastung mit der Druckchemikalie
zwischen 14 und 44 µg/kg. Isopropylthioxanthon (ITX) dient der
raschen Trocknung ("Aushärtung") der Druckfarbe bei der Herstellung
der Getränkekartons.
Während sich die ITX-Belastungen jede Woche aufs Neue bestätigen,
beharren die Verantwortlichen auf ihrer seit dem Auftauchen der
Kontaminationen vereinbarten Abwiegelungsstrategie. Das ergibt sich
zweifelsfrei aus einem Vermerk des Bundes für Lebensmittelrecht und
Lebensmittelkunde e.V. (BLL) über eine interne Besprechung, zu der
das Seehofer-Ministerium in der vergangenen Woche (16. Februar)
Vertreter der Verpackungshersteller, der Druckfarbenhersteller, der
Kunststoff- und Lebensmittelindustrie, der zuständigen Länderbehörden
und Fachämter geladen hatte. Erste Priorität hat danach das
Interesse der Industrie, alle bereits abgefüllten Getränke mit
"Mindesthaltbarkeitszeiten bis Ende 2006" weiterzuverkaufen. Wörtlich
heißt es: "Die Wirtschaft braucht vordringlich eine einheitliche
Vorgehensweise im Vollzug im Hinblick auf den Abverkauf von
möglicherweise ITX-haltigen Packungen und Hilfestellung durch das
BMELV zur Klarstellung auch gegenüber Aktivitäten wie z. B. die der
Deutschen Umwelthilfe (DUH) e. V."
Erstmals wiesen Vertreter der Länder bei der Besprechung darauf hin,
dass sofortige Rückrufaktionen aus Vorsorgegründen und auf Grundlage
in dem Vermerk detailliert benannter Rechtsverordnungen durchaus
möglich seien. Diese sollten im Einzelfall nach schwerpunktmäßigen
Kontrollen der "ansässigen Lebensmittelunternehmen" bei Belastungen
oberhalb von 50 µg ITX/ kg stattfinden. Da konkrete Regelungen für
die Außenbedruckung von Verpackungen fehlten, habe der 50-µg/kg-Wert
"Grenzwert-Charakter". Laut dem Vermerk hat der Vertreter des
Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) bei der Sitzung erneut
betont, dass "eine abschließende Risikobewertung nicht erfolgen"
könne, weil die vorliegenden Daten "unvollständig" seien.
Resch kündigte an, die DUH werde ihre Aufklärungsarbeit solange
fortsetzen, "bis Seehofer und seine Länderkollegen einen vorsorgenden
Verbraucherschutz betreiben, der diesen Namen verdient". Es könne
nicht sein, "dass das ITX-Problem aus Rücksicht auf die
Gewinninteressen einiger Betriebe noch bis zum Jahresende durch die
Kehlen der Konsumenten entsorgt wird." Die begrüßenswerten Reaktionen
der Supermarktketten bei den von der DUH aufgedeckten kontaminierten
Produkten hätten zudem bewiesen, dass schnelles und effektives
Handeln möglich sei. Sämtliche betroffene Supermarktketten hatten in
den vergangenen Wochen, die kontaminierten Produkte aus den Regalen
genommen. Eine Ausnahme bildete allerdings der Marken-Abfüller
Eckes-Granini, von dem bereits drei hoch belastete Produkte bekannt
wurden, ohne dass der Verkauf der Produkte nach Kenntnis der DUH
gestoppt wurde.
Quelle: Pressemitteilung Deutsche Umwelthilfe e.V.,